25. ... Vézelay - Le Chemin

Im Land der weißen Kühe 

Dieser Weg ist wirklich durch und durch überraschend. Heute Morgen ist er sogar ein wenig unerklärlich. Denn was geschieht nicht alles in der ersten Morgenstunde. Das gibt es ja wohl nicht. Ich und das bisschen Glaube, das ich besitze, wir stehen ganz früh auf um ja nicht die Frühmesse zu verpassen. Ein Unding! Schnell schlürfe ich einen Kaffee um die Augen auf zubekommen. Von Monique oder Bernard keine Spur. Mit deutscher Pünktlichkeit bin ich zur Frühmesse die Laudes heißt und Morgenlob genannt wird. Und, ich bin der einzige Besucher. Oh Mann! Ich versinke gerade in einer Welt der Unwirklichkeit und in der riesigen Kathedrale. Vermutlich würde auch ohne mich der Gesang gesungen werden. Nach dem ersten Lied steht rechtzeitig Monique neben mir und liedweise steigert sich die Besucherzahl auf Fünf. Der Sechste ist schließlich Bruder Bernard. 

 

Nachher befinden wir uns in der Krypta. Unter den Augen Maria Magdalenas erteilt uns der Abt den Pilgersegen. Er ist die gefühlte Reinkarnation von Malachias von Hildesheim, dem altväterlichen Abt aus dem Namen der Rose. Den augenblicklichen Zauber entdecke ich als wertvoll für meinen Jakobsweg und befördert mich in die guten alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat. Im gegenwärtigen Zeitalter aber ist der Weg zum Grab des Apostel Jakobus allemal mit anderer Leichtigkeit ausführbar, als um 1149. Doch ist es immer noch derselbe Weg, der in der „Codex Calixtinus“ als erdgebundene Übertragung der Milchstraße beschrieben wird. Das Pilgerbuch aus dem 12. Jahrhundert soll in Asquins, unterhalb des Hügels von Vézelay, geschrieben worden sein und kann nun in der Kathedrale in Santiago de Compostella besichtigt werden. Neben Wegbeschreibungen, Geschichten über den Apostel und dem Bericht über den Feldzug Karls des Großen 778 gegen die Mauren, enthält der Codex auch Segenswünsche zum tugendhaften Geleit der Pilger. 

Nicht nur die Seele braucht Stärkung. Monique und ich sind nun frisch gesegnet, sodass wir in den weiteren Tag starten können. Die erste Suche führt uns in die einzige Bäckerei. Die liegt ganz unten im Dorf und auf dem steilen Kilometer zurück knabbert mir die Holländerin das halbe Baguette weg.

Jedes noch so unterhaltende Frühstück ist irgendwann zu Ende. Es ist nach Zehn, als ich zu guter Letzt den Drahtesel besteige. Es gibt Wünsche und Küsschen zum Abschied. „Hier komme ich noch einmal her!“ gelobe ich mir, als ich die schmale Gasse langsam herunterfahre. Die Frau aus der Kerzengießerei winkt mir ein Lebwohl zu. Ich verschwinde gerade noch rechtzeitig, bevor ganze Busladungen von Touristen zu einem Blitzbesuch abgeliefert werden.

Auf dem Jakobsweg von Trier nach Vézelay bin ich mit dem gleichnamigen Outdoor von Norbert Rother & Ingrid Retterath gut unterwegs gewesen. Immer fand ich interessantes in der Landschaft, den vielen Ortschaften und auch neben der Strecke. Partiell amüsant und witzig geschrieben. Nun ist ein gewisser Herr Randolf Fügen für den Outdoor „Via Lemonvicensis“ verantwortlich. Ich hätte nie gedacht, welche Gegensätze aus dem gleichen Verlag verkauft werden. Das Buch ist die 14,95 € einfach nicht wert und mit meinem Teasy One nicht verträglich. Das Buch gibt armselig den Versuch einer Wegerläuterung wieder und ist dazu noch kläglich ausgekundschaftet. Adressen sind unvollständig oder fehlen, Koordinaten gibt es gar nicht und von mancher Herberge weiß er nichts. Die Witzlosigkeit beginnt schon bei der ersten Benutzung. Für die Herberge in Le Chemin ist eine Telefonnummer und eine Website angegeben, aber keine Anschrift! Nix, was ich ins Teasy One tippen könnte. Zum Glück versteht Umberta sehr gut Deutsch und gibt mir die Adresse telefonisch durch.       

Warum dem Kopfzerbrechen verfallen. Der Weg ist jetzt tatsächlich gut bemuschelt und führt zur nächsten Entscheidung. Meine Winzigkeit muss sich festlegen, ob ich über Bourges oder Nevers nach Süden pilgere. Mein Weg führt mich in die Schlucht der Cure und später ins Weideland der weißen Kühe. (Ein paar Braune hab ich auch gesehen.) Eine Fahrt mit kleinen Umwegen in den französischen Sommer. Man glaubt es nicht. 

 

L’Esprit du Chemin”, ist eine Herberge für und durch Pilger. Diesen Traum betrete ich am frühen Nachmittag. Das kleine Eden liegt in einem kleinen Weiler, kleiner als das kleine Allzunah. Der ganze Hof ist von Blumen umrankt und unter einer mächtigen Eiche ist soeben der Kaffeetisch gedeckt worden. http://www.espritduchemin.org/de

Hallo Paradies! Um jede liebevolle Kleinigkeit zu beschreiben reicht vermutlich weder meine Zeit noch die Anzahl an Wörtern die hier ausgeschrieben werden könnten. Tatsächlich werde ich auf das liebste empfangen und lerne Sonja, Umberta, Arno, Jan und Alexander kennen. Alles freundliche Holländer. Schaut einfach auf die Website, es lohnt sich. Bald hängt meine Wäsche auf der Leine und ich sitze mit einem Bierchen in der Sonne oder schaue mir die vielen Einzelheiten an. Später kommen noch zwei französische Pilgerinnen aus der Nähe von Le Mont-Saint-Michel in der Normandie dazu.

Zum Abend hat Sonja ein leckeres Menü gezaubert und Jan serviert die Gänge. Die Suppe ist aus Kartoffeln und frischen Kräutern. Zum Zwischengang gibt es gebratenen Chinakohl mit Kichererbsen und würzige Schweinefleischstreifen und ein bunter Salat mit viel Käse macht die Letzten satt.  Lecker das Dessert! Der Garten Eden hat einen eigenen Weinberg und Weinkeller und damit das stimmige Getränk. Später wird ein virtueller Ball geworfen und jeder muss in kurzen Sätzen das „Warumhiersein“ ausmalen. Ich berichte ungeschminkt von meiner Defizitkammer, von unmissverständlichen Signalen aus meiner Magengrube, von Trennung und verschiedenerlei Einsamkeit. Umberta und Arno haben hier ihre Bestimmung gefunden, Sonja und Jan wollen als Freiwillige dem Jakobsweg etwas zurückgeben. Die Französinnen sind Rentner und auf der Suche nach ihren Wurzeln an der Loire und Alexander hat den Job geschmissen, weil er lieber durch Europa reist. Es wird ein sehr schöner Abend und am besten lässt es sich über das Essen reden. So bringt mir Omas Sauerbraten mit Apfelrotkohl und Thüringer Klößen eine spontane Einladung zu dem Klosterfelsen in der Normandie ein. Die Damen haben übrigens eine Flasche selbstgemachten Calvados dabei. So innerlich beleuchtet wird dann noch gesungen. Das einzige Lied bei dem ich halbwegs textsicher bin, ist das Rennsteiglied. Aber? Singen? 

 

Fazit: Mein Gesang ist sicher grausam.  


Die Tage 1 - 24 findet ihr hier: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/


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Kommentare: 4
  • #1

    Werner Worm (Donnerstag, 06 April 2017 07:39)

    Hallo Uli!
    Deine Beschreibungen sind wunderbar geschrieben! Eine echte Inspiration. Vielen lieben Dank dafür!
    Weiterhin gute Pilgerreise, Werner

  • #2

    Ulli Salzmann (Donnerstag, 06 April 2017 08:26)

    Dankeschön :-) das geht mir runter wie Öl. Nur schade das es nur so wenige lesen.

  • #3

    Angelika (Samstag, 08 April 2017 19:41)

    Uli schreib lieber schöne Geschichten,das mit dem Singen lass mal lieber �.

  • #4

    Sport-Schmiede (Donnerstag, 21 Juni 2018 12:31)

    Ulli... ein ganz großes Lob, schöne Texte und tolle Foto-Impressionen.
    Als wäre man live dabei und Du hast echt ein feines Gespür für Details :)

    Liebe Grüße aus Schmiedefeld