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22. ... Ètourvy - Tonnere - Chablis - Auxerre

Doch leider verläuft die Umwandlung von der Regenwoche zum Hochsommer noch etwas träge, aber ich bin hoffnungsvoll.

Noch ist der Morgennebelschleier dicht, aber dafür versprüht das kleine Venedig eine reizvolle Morgenstimmung. Klasse Service! Jemand hat mir eine Tüte mit frischen Baguette an die Tür gehängt. Das restliche Frühstück suche ich mir in der Küche zusammen und koche mir sogar eine große Kanne Kräutertee für die Trinkflaschen.

 

Mit puren Optimismus fahre ich mit den sommerlichsten Klamotten los. Noch ist die Vernebelung hartnäckig und die hüglige Provinz kaum wahrnehmbar. Wie im Malkasten der Impressionisten wird es links und rechts immer blauer. Es ist noch nicht der Himmel! Ich fahre durch endlose Vergissmeinnichtfelder. Oder? Habt ihr ein besseres Auge?

 

Ist es die menschenleere Ruhe, falls es Ruhe ist? Die Gedanken nehmen wieder Witterung auf und verweilen wieder auf Spurensuche im intimsten Herzen. Die Ruhe ist herrlich. Die kleinen Dörfer scheinen aus der Zeit gefallen und erwarten in ebendieser Ruhe das Ende der Welt. Schemenhaft erkenne ich eine mächtige Kirche und eine große Uhr. Dort ist es genau zwölf Uhr Mittag oder Mitternacht. Wer weiß das schon? Die Zeit steht im unverdienten Ruf, alle Blessuren zu heilen. Unter einem Baum brütet ein Schaf und grinst mich an und mein Tretlager bringt mich zurück in die Wirklichkeit. Es macht wieder Geräusche, die mir nicht gefallen. Bevor meine Gedanken möglicherweise bei irgendeinen Negativ verweilen, nutze ich die Gelegenheit um französische Hilfsbereitschaft zu erkunden. Der Meister der Renault Werkstatt versteht mein Englisch und schnell ist das Lager gesäubert und gefettet. Dabei muss ich meine Reise erläutern und bekomme wiedermal das „Bon Courage!“ mit auf den Weg. Mein Geld will man nicht. Ich bezahle mit einem Dankeschön und es ist, als läge schon eine gewisse Selbstverständlichkeit darin. Gut geschmiert fährt es sich fast von allein und ich darf die Ruhe noch besser erleben.    

 

Dann lerne ich ein holländisches Pilgerpaar kennen und lerne eine erstaunliche holländische Version des Pilgerns kennen. Pilgern mit Wohnmobil! Das funktioniert ungefähr so! Morgens fährt das nette Rentnerpaar zirka zwanzig Kilometer und sie erkunden ein freundliches Fleckchen für das mobile Häuschen und trampen dann zum Ausgangspunkt zurück. Das muss in Frankreich gut funktionieren. Eben wurden sie vom Pfarrer mit der kaputten Kirchturmuhr mitgenommen und durften an einer Wasserweihe teilnehmen. Fast eine halbe Stunde schiebe ich das Rad neben ihnen her, so schön ist das Geplauder. Buen Camino!

 

Der Sommeranfang ertappt mich am Canal de Bourgogne. Das Wetter wird mit jedem Kilometer schöner. Auf einen kleinen Parkplatz, direkt am Wasser, gewahre ich ein einsames holländisches Wohnmobil. Theoretisch kann man auf dieser Wasserstraße vom Atlantik ans Mittelmeer schippern. 

 

Die Fosse Dionne ist ein riesiger Quelltopf unterhalb der Kirche Saint-Pierre in Tonnerre und ist, wenn man dem Schild glauben darf, großzügige 2095 Kilometer von der Kathedrale in Santiago entfernt. Ein französisches Ehepaar lädt mich (den Pilger) zum Kaffee ein, sie betreiben direkt neben der Quelle eine kleine aber sehr feine Pension. Jedes Steinchen hat hier eine Geschichte. Ein kleines Paradies hinter maroden Mauern, mit tiefen Respekt für die Harmonie. Ich bewundere einen stilvollen Salon mit einer eben solchen stilvollen Plattensammlung. Schließlich wird sogar das Grammophon angekurbelt. http://www.ferme-fosse-dionne.fr/ Ein unbedingter Tipp für eine Übernachtung. Ganz liebe Menschen!

 

Die Weiterreise als Önologe bringt der nächste Bergrücken. Angebaut wird hier die Chardonnay Traube und damit der Chablis-Grand Cru. Ein Fläschchen von jenen Hektaren kostet immer dreistellig, lese ich im Reiseführer. Vermutlich ist das Fläschchen Chablis, das ich später auf dem Markt in Chablis erwerbe nicht ganz so edel. Der Handelsplatz in dem mittelalterlichen Gemäuer ist ambrosisch. Es gibt für mich die ersten Herzkirschen des Jahres. Juhu! Ich erstehe noch eine knüppelharte geräucherte Blutwurst (schwarz wie Kohle) und ein Viertel vom Ziegenkäse Chevreton aus dem nahen Mâconnais. Köstlich!

 

Der Trail der mich hinunter nach Auxerre bringt, lässt jedes Radfahrerherz höherschlagen und auf der Yonnebrücke bin ich vom der Postkartenansicht richtig überwältigt. Canaletto hätte es nicht besser malen können. Auxerre muss man partout gesehen haben. In der Maison des Randonneurs (Jugendherberge) werde ich nett aufgenommen und es ist wieder ein schönes Herrenhaus inmitten eines Gartens.

http://www.maison-rando.fr/  (24 € Ü/Fr) 

 

Ich bleibe noch stundenlang in den Gassen der Stadt. Quirlige Gegenwart und tausend Jahre Geschichte kann man gar nicht in so enge Gassen zwängen. Doch tut man es hier. Den Abend verbringe ich am Ufer der Yonne und nasche leckere Gougéres (Auxerrer Käsewindbeutel) und proste vom (edlen) Chablis. Perfekt! Mein Beschluss für einen Tag Pause fällt mir bei dem Sonnenuntergang gar nicht schwer. 

 

Fazit: Auch ein Biertrinker darf mal Wein trinken.                   


Die Tage 1 - 21 findet ihr hier: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/


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Kommentare: 1
  • #1

    Angelika (Donnerstag, 09 März 2017)

    Wein Weib und Gesang ein Leben lang . Daß gilt für Biertrinker nicht. ��