Denkste! Von wegen fünfzig Euro! Es sind letztendlich Achtzig und ohne große Umschweife zücke ich die goldene Visacarte.
Ich kann es eh nicht mehr ummodeln und feilschen ist heute Morgen nicht mein Ding. Dafür gibt es ein Frühstücks-Büfett mit gebratenen Speck, rote Bohnen, Rührei und einem französischen Käsebrett. (Ich finde jetzt keine Website! Hotel Restaurant de l'Abbaye 80 € Ü/Fr/incl. Sprudelwanne) Falls ich noch mal als Pilger hier vorbeikomme, besuche ich sowieso die Schwestern in der Zisterzienserabtei und die dort vorhandene Herberge. Jetzt aber schlage ich mir den Bauch mit edlen Käse voll und zwei Äpfel stecke ich auch noch ein.
Für den heutigen Tag hat der Jakobsweg den Regen satt und entfernt sich nach Sonstwohin. Ganz am Ende vom Horizont kann ich sogar einen winzigen Hauch blauen Himmel diagnostizieren. Viele Wolken, kein Regen! Juhu! Hallo, ich bin der Ulli aus Frauenwald und mir gehört die Welt. Zum Frühsport geht es knackig bergan. Die ersten Kilometer erstrecken sich vom Aubetal zum pittoresken Champignol-lez-Moneville hinauf. Es geht durch tiefen Wald und hier wohnen feuerrote Nacktschnecken. Schließlich, als ich den Hochwald verlasse, sehe ich die ersten Champagnerfelder. Die sehen fast genauso wie Weinberge aus, nur das wohl hier die Flaschen gerüttelt werden. Die Manufakturen in denen Bouteillen gerüttelt werden, sehe ich heute noch genug.
Das romanische Kirchlein rechts vom Weg müsst ihr unbedingt besuchen, nicht nur die Sicht ist herrlich. Himmelan über lehmige Wege geht es zum Plateau de Blu und direkt durch die jungen Trauben ins Tal der Ource. Das nächste hübsche Städtchen hat den schönen Namen Essoyes und war der Heimatort eines mir vertrauten Impressionisten. Das markiert in mir den Kunstfreund. http://www.renoir-essoyes.fr/ Renoir sagte einmal: „Ich liebe Bilder, die in mir den Wunsch erwecken, in ihnen herumzuspazieren, wenn es Landschaften sind, oder sie zu liebkosen, wenn es Frauen sind.“ Da stimme ich zu!
Zehn Jahre habe ich im FdGB-Heim Raymonde Dien gearbeitet und im Personalraum hing bei jeder Tasse Kaffee das Bild "Die großen Boulevards" von Auguste Renoir vor meiner Nase rum. Hier stehe ich plötzlich wieder vor einem Nichtoriginal. Für das Original müsste ich nach Philadelphia reisen. Heute aber nicht mehr. Übrigenns: Die jungen Damen an der Kasse zum Renoir Museum haben einen schönen Stempel für das Pilgerbuch.
Nach dem lohnenden Spaziergang durch die Kunst und charmante Gässchen, geht es über den nächsten Bergrücken in das Tal der übervollen Seine. Das Paris überflutet wurde, sah ich ja im Fernsehen. Hier muss es richtig gegossen haben. Das Dörfchen Gyé-sur-Seine an der erforderlichen Seinebrücke hat eine sonntagsoffene Boulangerie und ein uriges Café.
Dann wird es für die nächsten dreißig Kilometer einsam. Winzige Nester in der Größe Allzunahs, gibt es für die nächsten Stunden. Es gibt keine Autos, keine Menschen, nur die Ruhe, nur Weinberge, nur Vogelgezwitscher, nur Felder, nur Wälder in der welligen Landschaft und die Gedankenflüge bewegen sich wie Fische im Wasser! Da bastle ich mir doch tatsächlich Gedanken darüber, was meine Verpflichtung in dieser Welt ist. Dabei ist die Antwort doch ganz unkompliziert. Ich gebe halt mein Bestes und wenn nicht, dann halt nicht. Was für ein Blödsinn zum Sonntagnachmittag! Ich schalte am Fahrrad einen Gang runter und das Gedankenkarussell ab. Ever!
Madame Lhomme verspricht mir am Telefon, in einer halben Stunde da zu sein. Eine halbe Stunde um erste Eindrücke von der Domaine Saint Georges in Ètourvy zu sammeln. Ich bin beeindruckt. http://www.domainesaintgeorges.fr/ Im Hof endet gerade eine Hochzeitsfeier und Menschen werfen mir ein freundliches Bonjour entgegen. Selbstverständlich beglückwünsche ich das Paar und die reizende Braut trägt ein wundervolles Brautkleid. Dann kann ich auch noch den Hausmeister überreden, kurz den Hofladen zu öffnen. Das Bier für den Abend ist gerettet. Madame Lhomme führt mich dann auch noch mal durch die Anlage. Zur Pilger-Kemenate führt die kleine Brücke über den Wassergraben, zu einem Türchen in der betagten Natursteinmauer. Voll schön, mit Dusche. In einem urigen Gewölbe findet sich die perfekt bestückte Gemeinschaftsküche. Für 22 € darf ich alles benutzen.
Zum anschließenden Dorfspaziergang habe ich stellenweise blauen Himmel. Étourvy ist sehr überschaubar, aber mit vielen interessanten Ecken. Maroder Charme und viel Wasser. Ein winziges Venedig mit baufälliger Kirche. Den Rest des Tages verbringe ich im Garten des Chateaus mit einer Marmorgöttin. Ich muss fast achtgeben, dass ich mir keinen Sonnenbrand hole.
Fazit: „Eines Tages, als einer von uns keine schwarze Farbe mehr hatte, verwendete er blau und der Impressionismus war geboren.“ Auguste Renoir.
Die Tage 1 - 20 findet ihr hier: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/
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