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19. ... von Toul nach Vancouleurs und Gondrecourt-le-Château

Ich gebe ja zu, dass ich an keinem Morgen weiß, wie der Tag am Abend aussehen wird. 

Heuer wird er aber besonders lebendig zu mir. Hinterlistig wechselt das Tageslicht von einem emotionalen Zustand in den Nächsten und jede Emotion ist eine kleine Geschichte in sich selbst. 

 

Der Tag beginnt ganz normal mit Regen, daher ist alles wie immer. Alsdann staune ich nicht schlecht. Es ist gerade halb Acht und das Bistro ist schon gut gefüllt. Toul trifft sich zum morgendlichen Klatsch. Hier wird Zeitung gelesen, Kaffee getrunken und das Croissant vom Bäcker nebenan ausgepackt. Mitten im freundlichen Wirrwarr wird auch mein Frühstück serviert. Es gibt Croissants vom Bäcker nebenan, Butter, Marmelade, Orangensaft und einen ambrosischen Kaffee Americano. Herrlich! Ich glaube, der Regen lässt nach. Bei der Schlüsselabgabe bekomme ich von der Wirtin drei Bananen geschenkt. Für unterwegs.

 

Kurze Zeit später bin ich verloren im Nebel des ersten Weltkrieges. Hunderte Soldatengräber säumen den Weg. Hier verliefen nach der Marne-Schlacht die Schützengräben. Für Millionen Soldaten ihr jahrelanges Zuhause, oft genug bis zum Grab. Die Unvernunft der Menschheit machte mich schon öfters traurig. 

 

Der Regen hat aufgehört. Auf wenig befahrenen Straßen und schmalen Wegen geht es weiter durch eine befeuchtete und erholsame Landschaft. Ein Landstrich mit kleinen fast verlassenen Dörfern. Es ist der GR703 (Sentier historque de Jeanne d’Arc), der mich ins Tal der Meuse und zum französischen Tor in Vancouleurs lenkt. Geschichte pur! Jedes französische Schulkind wird den Ort kennen, wurde doch hier die 17-jährige Johanna auf ihre Jungfräulichkeit überprüft.

 

Aber auch diesmal ist etwas nicht wie es sein sollte. Der Weg an der Meuse ist überflutet. Mein Instinkt sagt mir, dass ich zurückfahren müsse, mein Dickkopf sagt: Nein! Bis wirklich nichts mehr geht. „Rien ne va plus“ Auf gut Glück versuche ich einen Feldweg der bergan führt und schon findet mein Navy eine Alternativroute durch die morastige Einsamkeit. Warum ich gestern das Rad säuberte, erfasse ich auch nicht so genau. Früher oder später bin ich auf dem Bergrücken und auf befestigten Wegen fahre ich in das Tal der Ornain und nach Gondrecourt-le-Château. Gestern hatte ich bei der Wirtin des Hauses auf Englisch ein Zimmer bestellt. (Hotel Central 55130 Gondrecourt-le-Château, Frankreich Telefon: +33 3 29 89 63 42 40 € Ü/Fr) Die einzige Übernachtungsmöglichkeit weit und breit. Hübsch. Mir gefällt es auf Anhieb. Gemütliches  Zimmer über dem Fluss.  

 

Hübsch ist auch der Ort am Flüsschen, das jetzt ein großer Fluss ist, mit großen Rathaus und kleiner Kirche. Im Pfarrhaus hört niemand. Darum besuche ich das Rathaus hinter dem Heldendenkmal zur Marne-Schlacht. Erst in der dritten Amtsstube finde ich jemanden, offenkundig einen ungehaltenen Bürgermeister. Als er meinen Pilgerausweis sieht, hellt sich seine Miene auf und er sucht den passenden Stempel.

 

 

In der starken Strömung der Ornain führt eine Schwanenfamilie stolz ihre Küken aus und auf dem Spaziergang zur kleinen Burg entdecke ich das noch kleinere Büro der Atomkraftgegner. Auf dem Rückweg besuche ich intuitiv die zwei jungen Damen. Knapp 700 Meter tiefer, unter der Erde, treiben Experten ausgedehnte Stollen ins Gestein und im Sommer 2017 soll mit der Endlagerung begonnen werden. Um Proteste der Anwohner im Keim zu ersticken, schüttet die französische Regierung die Region seitdem mit Geld zu. Große Schecks haben dazu geführt, dass jedes Dörfchen eine Bibliothek bekommt und überdimensionale Bushaltestellen. Schlaglöcher gibt es auch keine mehr und dennoch kann man fast jedes zweite Haus kaufen. Hier im französischen Nirgendwo streiten zwei australische Studentinnen gegen Windmühlen. Schon seltsam! Bei Kaffee, Plätzchen und etwas Hippiefeeling unterschreibe ich beherzt jede Resolution. Augenblicklich laufen draußen zwei hochbepackte Pilger vorbei. Beim Abschied bedanke ich mich für ihr Engagement und ich habe das Gefühl, als laste ab jetzt ein erhebliches Gewicht französischer Energiepolitik auch auf meinen Schultern. Eine überdimensionale Bibliothek finde ich dann auch noch.

 

Rechtzeitig mit mir, kommt auch die Schwanenfamilie vom Ausflug zurück. Ein schönes Bild. Zum Abend simse ich ein wenig mit meiner nordrhein-westfälischen Freundin Inga und bestelle die Pizza „Diabolo“. Der Gastraum ist gut gefüllt. Als der Bürgermeister mit großen Anhang eintrifft, wird jedem im Raum erklärt, dass ich ein Pilger aus Deutschland sei und ich muss mit an den Tisch. Eine jüngere Frau hat ein paar Jahre in Saarlouis gearbeitet und übersetzt fleißig. Die Unterhaltungen gehen um dies und das. Marion Anne Perrine Le Pen und ähnlicher Mist. Aber! Als ich die Zubereitung vom Omas Sauerbraten mit Apfelrotkohl und Thüringer Klößen wiedergebe, werde ich zur Berühmtheit des Abends. (Keine Angst, ich verrate nicht alles!) Später gibt es noch ein internationales Darts-Turnier, das Deutschland knapp gegen Frankreich gewinnt. Jawohl!

 

Fazit: Was für ein Tag? Und, meine leidigen Darts-Abende, damals nach meiner Scheidung, waren doch nicht wirkungslos.             


Die Tage 1 - 18 findet ihr hier: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/


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Kommentare: 3
  • #1

    inga (Montag, 27 Februar 2017 18:22)

    wieder sehr schöne bilder und auch der text macht lust auf mehr

  • #2

    Ulli Salzmann (Dienstag, 28 Februar 2017 07:36)

    Dankeschön.

  • #3

    Angelika (Mittwoch, 01 März 2017 15:07)

    Wieder sehr schöne Bilder.Schön geschrieben.Man bekommt Lust auf Frankreich.