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15. Intermezzo

Intermezzo!

Fast ein Jahr Pause vom Jakobsweg. Fast ein Jahr der Vorfreude. Fast ein Jahr glücklicher Momente. Fast ein Jahr, das sehr mit Zweifeln belastet ist. Ich, mit meinem so langen kurzen Gedächtnis, schaue auf einige lebhafte Momente zurück. Zu einem Leben, in dem ich mich gerade aufhalte. Ein Schriftsteller schrieb dazu: „Das Leben ist ein Buch, das als Buch gelesen werden sollte, ein Buch mit einem Dschungel voller Zeichen und Buchstaben.“ Das stimmt! Und sie formieren bisweilen Wörter und Sätze mit Bedeutung. Da gibt es schon vielerlei anzuführen. Und so haben sich die Dinge zwischenzeitlich geordnet! Eine perfekte Reihenfolge ist allemal nicht wertvoll für den Sündenerlass. Einzelne möchte ich aber doch benennen: Schmetterlinge, Mallorca, Liebeskummer, Tagespilgertouren, Jakobsweg, Radtour nach Berlin, Lieblingskind, Lutherweg, Schallplatten, Spaß, Fastenzeit, (Un-)Glaubwürdigkeit, Verständigung, Missverständnisse und die Übrigen. Von einigem wird im Folgenden und im Hergang der Reise zu lesen sein.

 

Auf geht’s! Es wird schließlich Sommer und alle Leute reisen, nicht wahr? Gedanken sammeln, Kräfte tanken, das unsagbar tolle Frankreich probieren. Hochsensible Gedanken erwarten mich. War das im letzten Jahr anders? Es war eine unerhörte Reise nach Erfurt, Eisenach, Marbach, Flieden, Gelnhausen, Frankfurt, Bingen, Kirchberg, Trier, Merzkirchen, Thionville, Metz, Nancy und zu richtig tollen Leuten. Ich radelte von der Haustüre ins Herz Lothringens, ich radelte auf jahrhundertealten Spuren der Pilger. Ja! Aber Pilgern? Auch wenn ich mit Pilgerausweis reise, die Unterscheidungszeichen zwischen Tourist und Pilger leuchten auch nach fast 1000 Kilometern immer noch nicht richtig ein. Da muss ich wohl noch etliches lernen. Und wenn mir jemand im Vorfeld gesagt hätte: „Ulli, du wirst die Magie der Orte spüren!“ Ich hätte mit dem Finger an die Stirn getippt. Am 30. Mai 2016 geht es los und ich müsste lauthals Juhu schreien! Aber ...

 

Einen Tag früher! „Laut MDR-Wetterstudio zog eine Gewitterzelle von Masserberg über Ilmenau hinweg in Richtung Norden. Zwischen 14 und 16 Uhr sind aus dieser Zelle neben heftigem Regen und Hagel auch rund 4.000 Blitze niedergegangen. Das Stadtgebiet von Ilmenau ist am Sonntagnachmittag bei heftigen Regenfällen und Hagelschauern überschwemmt worden.“ (Quelle Thüringer Allgemeine) 

 

Tragikomödie in der Nervenklinik! Es ist kurz vor 14 Uhr als ich in Masserberg zum Feierabend schreite und das im heftigen Streit. Ein Streit, der sich wochenlang aufbaut und am Ende alles Klima im Betrieb vergiftet. Ein letzter Versuch zur Deeskalation scheitert kläglich. Mit Sicherheit besitze ich keinen Heiligenschein, aber letztendlich muss ich mich gegen so Kleinigkeiten, wie Lügen und Unwahrheiten, verteidigen. Und nun? Der gute alte Sokrates hat da das passende Zitat für mich: „Wie könntest du auf Reisen deine Sorgen vergessen? Du nimmst immer dich doch selber mit.“ Die Sonne schwindet, der Himmel wird pechschwarz.

 

Kurze Zeit später! Am Dreiherrenstein erwischt es mich, binnen Sekunden ist die Straße zentimeterhoch mit Hagel bedeckt und ich habe vorne links einen Platten. Ohne großen Schaden rutsche ich in den Graben. Klitschnass bekomme ich das hin. Fragt aber bitte nicht nach dem Nervenkostüm. Es ist klatschnass.  Zum großen Glück erfahre ich erst nach meiner Rückkehr, dass der Reifen zerstochen wurde. Alsdann sehe ich einen Regenbogen.

 

Das Leben ist schon manchmal ein seltsames Ding. Nach der Dusche beschließe ich Lebensfreude und das Verzagen, überhaupt keine Sache ist. Nicht jetzt, nicht hier und überhaupt. Was wirklich nicht einfach ist. Optimismus verbreiten auch die Nachrichten. Auf Facebook ist die neu entstandene Seelandschaft vor dem Ilmenauer Bahnhof zu bestaunen. https://www.youtube.com/watch?v=Q_vVAiCF-lk  Autos können plötzlich schwimmen. Mein grober Plan für den Tag ist: um 3.00 Uhr aufstehen und zum Bahnhof Ilmenau zu radeln, 4.20 Uhr den Zug besteigen, in Plaue umsteigen, in Würzburg umsteigen, in Koblenz umsteigen und in Perl aussteigen. Die Fahrkarte habe ich vor drei Monaten so gebucht (29 € + 10 € für das Rad). Meine Versuche für eine Anreise nach Nancy sind keine Option, siebenmal Umsteigen, 24 Stunden Fahrt und fünfmal so teuer.

 

Ich sitze um Mitternacht immer noch am Schreibtisch vor dem Rechner (Schlafen geht nicht) und es kommt noch besser! „Die Süd-Thüringen-Bahn teilte am Sonntagabend mit, dass die Strecke zwischen Ilmenau und Elgersburg wegen Unwetterschäden gesperrt wurde. An der Beseitigung der Schäden und der Einrichtung eines Bus-Notverkehrs werde gearbeitet, heißt es.“ (Quelle MDR) Mist! Schienenersatzverkehr mit beladenem Fahrrad? Meine Pläne dahingehend pulverisieren sich. Suhl! Das ist es. Der Zug nach Würzburg hält auch dort. Draußen grollt schon wieder ein Gewitter und ich gehe im Kopf alle Schutzhütten durch. Suhl ist zwar weiter als Ilmenau, aber ich habe früher auf dem Ringberg (Suhler Hausberg) gearbeitet und bin da auch schon nachts im Wald rumgeradelt. Auf geht’s!

 

Es ist 3.30 Uhr und die Gewitter haben sich zum Glück hinter den Horizont begeben. Das Wetter leuchtet, es nieselt leicht und ich ziehe los. Die Sorgen den Zug betreffend verflüchtigen sich, als ich fast eine Stunde vor Abfahrt in Suhl am Bahnhof stehe. Halbwegs trocken. Sicher ist allemal und was weiß man schon anfänglich? Die Pünktlichkeit der Bahn kann ich nur bekräftigen, auch wenn immer etwas Anderes behauptet wird. In Würzburg lerne ich eine Radfahrerin aus Trier kennen, die alleine nach Wien geradelt ist. Respekt! In Koblenz passe ich auf die Räder auf und sie kümmert sich um den Kaffee. Dauerregen und Landunter begleiten die Bahnfahrt. Ab Trier habe ich den Waggon alleine und in Perl bin ich im durchgängigen Zug mit Schaffner und Lokführer fast einsam. Endstation. Es gibt viele Tauben in der Bahnhofsruine und in der letzten Ecke Deutschlands. In dicke Regensachen gemummelt, verlasse ich eilig das Land. Mieses Wetter auch in Luxemburg. Mein Ziel ist die Jugendherberge Remerschen, in einem kleinen Örtchen in mitten der Weinberge. Dort werde ich gut aufgenommen, bekomme sogar ein Einzelzimmer mit eigener Dusche ohne Aufpreis.  http://youthhostels.lu/de/jugendherbergen/jugendherberge-remerschen-schengen (35 € mit Halbpension)

 

38 Stunden bin ich schon wach, nur schlafen will ich nicht. Darum wandere ich durch die Weinberge hinunter nach Schengen. An der Mosel treffe ich auf ca. 100 französische, fahrradfahrende Schulkinder und jedes einzelne grüßt mit: „Bonjour Monsieur!“  Im Europacenter trinke ich einen Kaffee und marschiere weiter nach Deutschland in den REWE am Dreiländereck. Ein paar Bier schwerer (Rucksack) geht es durch den Regen zurück in die Herberge. Dort treffe ich die Schulkinder wieder. Lustig ist die Geräuschkulisse. Das Menü zum Abend ist richtig gut. Würziges Käsesüppchen, Kalbsragout mit Erbsen und Risotto, zum Dessert gibt es Rhabarberkuchen.

 

Bücher müssen aus Papier sein und echte Seiten werden umgeblättert, denke ich noch, als ich nach zig Seiten passender Weltliteratur endlich einschlafe. 


Fazit: Es ist gut unterwegs zu sein. 


Was bisher geschah, könnt ihr hier nachlesen: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/


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Kommentare: 3
  • #1

    Angelika (Donnerstag, 16 Februar 2017 19:37)

    Sehr gut.

  • #2

    Sven (Donnerstag, 16 Februar 2017 19:51)

    Wunderbar geschrieben, Ulli! Mach mal schön weiter so. Ich sehe es schon kommen das wir beide hier mal abgebildet sind, mit einem Roten in der Hand in Frankreich *zwinker*

  • #3

    Ulli Salzmann (Freitag, 17 Februar 2017 21:55)

    Dankeschön euch Beiden, das mit dem Roten kriegen wir hin. Einen Chablis!