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3. ... an der Werra, Rhön und Pilgerhöhle

Eigentlich hätte der heutige Tag für Zwei gereicht. Als ich gestern mit Sandra telefonierte und mich für den Nachmittag ankündigte, hatte ich einfach keine Ahnung von der Quantenphysik. 

Keine Billionstelsekunde verschwendete ich an diese Materie. So ist es eben, wenn man einfach losfährt. Realitätsbegriffe für die Strecke, die mich zwischen Eisenach und Fulda erwarten, habe ich erst hinterher. Dafür bin ich heute lange an der frischen Luft und kann bei der Gelegenheit ein bissel das Hirn durchlüften. Ach ja, und angekommen bin ich auch! J 

 

Dass ich das Diakonissenhaus in guter Erinnerung halte, das liegt auch an einer netten Schwester. Sie gesellte sich beim Frühstück zu mir. Die würdige Frau hatte in der Anmeldung Frauenwald gelesen und schwärmte von ihrer Zeit im dortigen Pfarrhaus. In den Sechzigern war sie als Gemeindeschwester dort beim Pfarrer Scheffler. Lach, beim Pfarrer Scheffler hatte ich meine Christenlehre, allerdings erst in den Siebzigern und ich bin auch irgendwann nicht mehr hin. Aber so klein ist die Welt. So erfuhr ich einige Anekdoten aus meinen Heimatort. Der Tag beginnt punkt 7 Uhr mit Katrins Anruf. Noch mit den guten Wünschen für den Tag im Ohr, verlaufe ich mich in dem Riesenhaus. So kann ich aber verschiedenen Menschen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Den kleinen Frühstücksraum finde ich aber nicht ohne fremde Hilfe. Gut gestärkt besuche ich noch den Wochenmarkt vorm Rathaus. Ein paar Vitamine müssen noch in den Rucksack. 

Dass ich wenig später die Schwäne vorm Opelwerk fotografiere, wird den Pilgerwegkenner aufhorchen lassen. "Wie kann das sein?" wird er fragen. In der Mentalen Vorbereitung las ich einmal, das viele Wege nach Santiago führen und wenn Schmetterlinge deinen Jakobsweg begleiten, so wird Jakobus seine Hand über deinen Kopf halten und dich schützen. Diese lieben Worte nehme ich mit und verschiebe den Weg, durch die Drachenschlucht in die Defizitkammer. Ich werde an der Werra entlang nach Vacha radeln. Das Wetter ist perfekt, es gibt jede Menge Schmetterlinge und der nächtliche Regen hat die Luft angenehm erfrischt. Der erste Ort den ich erreiche ist Hörschel. 


Hörschel und das Tor zum Rennsteig kenne ich gut. Zweimal schon habe ich dort einen Stein aus der Werra geholt um ihn 170 km später in Blankenstein in die Saale zu werfen. 2008 warf ich auch einen Stein aus der Saale in die Werra. Die drei Rennsteigerfahrungen würden eigentlich einen Blog verdienen. Vielleicht ist der später unter www.ulliunterwegs.de/unterwegs/ zu lesen. 


Mein Weg ist länger als die Muschelroute über die Berge, belohnt mich aber mit toller Landschaft. Mal mit Werra und mal ohne Werra, mit Störchen und Kalibergen. Als ich die Sandsteinbrücke bei Vacha befahre, ist die Mittagszeit schon lange vorbei. Hier endet der ökumenische Pilgerweg in Printform und wahrscheinlich hat noch kein Mensch die Etappe zwischen Vacha und Fulda in schriftlicher Form festgehalten. Jedenfalls habe ich nichts im World Wide Web gefunden, darum verlasse mich nun auf die GPX-Dateien im Navi. Die sagen mir bis Geisa über 500 Höhenmeter voraus. Die werden heftig. Es geht zu meist über sehr matschige Wurzelpfade auf und ab durch die Rhön. Hasen trotten gemütlich vor mir her. Ich lerne, dass Bremen weit mehr Rhönschafe als Einwohner hat und gar keinen Überseehafen. Der nächtliche Sturm hat hier auch mächtiger gewütet als in Eisenach. Ich muss über umgestürzte Bäume klettern. All diese Mühen werden aber mit tollen Ausblicken belohnt. Geisa hat eine schöne Altstadt und wäre als Etappenort perfekt gewesen. Es wird wohl nichts damit, das mich Sandra am Nachmittag empfangen kann. 

Erst einmal geht es mächtig gewaltig hinauf zum Point Alpha und in meine Vergangenheit. Ja, ich war einmal Grenzsoldat. Auch die DDR unterzeichnete die Schlussakte von Helsinki und verpflichtete sich alle Minen zu räumen. Zwei Sommer lang war ich mit dem Mienenräumkomando im Heldburger Unterland unterwegs. Ich versorgte die Jungs unter den Asbestanzügen aus der Gulaschkanone. Den Kanten kenne ich aus dem FF (vielleicht nicht alles) und erlebte Skurriles und Bitteres. Einmal vergaß der Postenzug einen Soldaten auf seiner Planierraupe. Der Arme, verbrachte auf schweren Gerät nur 5 Meter vom Klassenfeind entfernt, die bitterkalte Nacht. Für das Nichtflüchten, wurde er später zum Helden erklärt und mit einem Orden versehen. Einmal wurde ich Ohrenzeuge einer Explosion und ein junger Soldat aus Zella-Mehlis verlor seinen Fuß. Die Schreie werde ich nicht vergessen und höre sie jetzt wieder. Eigentlich ein Museum für die Ohnmacht. Ach ja, noch etwas Bitteres. Zirka einen Monat vor meiner Entlassung war ich auf Heimaturlaub und traf dort auf eine entfernte Tante aus München. Irgendwer in der Nachbarschaft musste das unbedingt der Stasi melden. Bei der Rückkehr wurde ich peinlichst befragt und wurde zum Sicherheitsrisiko. Nicht das mich die Vergatterung zum Innendienst ärgerte, Spitzelei ist schon bitter. Damals wurden sicher ein paar Weichen gestellt, die mein Leben nicht einfacher machten.  http://pointalpha.com/die-gedenkstaette-point-alpha  

 

 

 

Auf dem Kolonnenweg direkt am Grenzzaun treffe ich einen Frankfurter, der ähnlich bepackt die Reise in Richtung Osten macht. Ich bin da klassischer! Ich überwinde den antiimperialistischen Schutzwall und flüchte in den Westen. In Hünfeld nehme ich mir noch die Zeit für eine erfrischende Kneippkur. Der letzte Bergrücken ist quasi lächerlich, gegenüber der überwundenen Rhön. Zur besten Abendbrotzeit finde ich die Pilgerhöhle in Marbach. http://www.pilger-on-tour.com/pilgerhoehle Sandra und Frank empfangen mich auf das Herzlichste. 

 


Den Tipp zur Pilgerhöhle habe ich unbekannterweise von Martin Dex, Initiator und Moderator der FB Seite Undogmatisches Pilgerforum bekommen. Dankeschön. J


Nach der zweiten Tasse Kaffee spüle ich die Anstrengungen des Tages unter der Dusche ab. Eigentlich finde ich Streckendaten gar nicht so wichtig, doch heute kann ich kann auf 116 km und 1450 hm stolz sein. Sind aber nicht nachahmenswert. Aus der Küche duftet es derweil mediterran. Sandra zaubert eine Tomate-Mozzarella-Hackfleisch-Moussaka, begleitet von hausgemachten Wedges und würziger Sour Creme, auf den Tisch. Lecker! Frank krönt das Menü in dem er das Rummousse mit After Eight garniert. Mit Bier und Schnaps wird der Abend lang. Beide sind Pilgerprofis. Sandra ist schon einmal in Santiago angekommen. Zurzeit sind sie in Etappen via Schweiz und Südfrankreich unterwegs. Letztes Jahr haben sie die Pyrenäen überschritten.  

 


Fazit: Boa!



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Kommentare: 3
  • #1

    Ulli Salzmann (Dienstag, 24 Januar 2017 00:28)

    Es wird ein paar Tage dauern :-) bis es weitergeht.

  • #2

    Gert Kleinsteuber (Dienstag, 24 Januar 2017 07:57)

    Hallo Ulli,
    ganz prima und sehr lebendig geschrieben. Die paar Faselfehler findest du noch. Mir ging es genau so. Man liest drüber weg und findet sie erst, wenn man den ausgedruckten Text mal liest.
    Weiter so!
    Gruß Gert.

  • #3

    Ulli Salzmann (Dienstag, 24 Januar 2017 19:28)

    Danke, ich hab schon ein paar Kleinigkeiten geändert.