Das Glück wächst und blüht am Wegesrand, vorausgesetzt, man ist auf dem richtigen Weg. (Autor unbekannt)
Im Jili 2020 bin ich drei Tage lang, dreihundert grandiose Kilometer durch Thüringen geradelt.
Rennsteig - Oberhof - Waltershausen - Eisenach - Probstei Zella - Treffurt - Warnfried - Kanonenbahn - Effelder - Unstrutquelle - Mühlhausen - Thamsbrück - Bad Langensalza - Gotha - Neudietendorf - Molsdorf - Arnstadt - Stadtilm - Gehren - Rennsteig. Danach war ich total platt und total happy.
Wenn man mal ehrlich ist, dann stimmt doch mit jeden von uns - etwas nicht. 😊 Gut möglich, dass ich hätte Besseres, etwas Sinnvolleres, machen können, mit meinen drei freien Tagen, wie - ausschlafen, faul sein, nichts tun, den lieben Gott einen frommen Mann sein lassen. Aber ich … Es war einmal ein Montagmorgen, es war frisch und absolut kein probates Wetter für eine Sommertour, also Tasche packen und lange Klamotte an. Es ist schön im Nebel zu radeln. Frauenwald - Allzunah – Bhf. Rennsteig – Schmücke – Oberhof. Hermann Hesse fällt mir ein: „Einsam ist jeder Busch und Stein, kein Baum sieht den andern, jeder ist allein!“ Ich genieße das. In der Bäckerei in Oberhof schreibe ich mich brav in die Liste ein, damit ich frühstücken kann. Auf der Riesenbaustelle Grenzadler wird gerade ein kleines Rohr verlegt. Alte Tambacher Straße, Steinbacher Straße, hier atme herrlichste Waldluft. Ihr werdet es nicht glauben, ich radle übers Hermsdorfer Kreuz! Schade, dass ich kein Radio für die entsprechende Verkehrsmeldung bei habe. Talwärts begrüßt mich peu a´peu eine sommerliche Klimazone nach der Anderen. Jacke aus. Die älteste Trinkwassertalsperre Thüringens, die Alte Tambacher Talsperre, bringt mich auf die Idee, in naher Zukunft noch einige Thüringer Talsperren auf … na ja … auf ihre optischen Details zu überprüfen. Saurier und Wassermühlen säumen den Weg nach Georgental und nun darf mal Google Maps dran, einen schönen Weg nach Schnepfental zu finden. Maps findet auf Anhieb eine epochale Geschichte. Graf Sizzo der Dritte, ist der Stammvater des Hauses Schwarzburg. Seine Grabplatte liegt in den Ruinen vom Georgenkloster einfach rum. Maps macht richtig gut weiter und lässt mich kreuz und quer durch eine Teichlandschaft radeln. Kirschen verleiten mich zu ersten Kirschliebhabergetue. Das ich nach Schnepfenthal radle, hat triftige Gründe, am 4. März 1784 wurde hier eine Schule gegründet und prophylaktisch mit meinem Namen versehen! Na wenn das kein Grund ist! Kurze Zeit später entdecke ich am Markt in Waltershausen, auch noch eine Buchhandlung die nach mir benannt ist. Das alles macht mich so euphorisch, dass ich fast, den nahen Inselberg angehe. Nur die aufgezogenen dunklen Wolken halten mich zurück und ich spare die wichtigen Körnchen. Im Hörselgau kommen Sonnenschein, endlose Mohn- und andere Blumenfelder daher, ja und, ja und … Meiner Laune tuts gut. Mittagspause! Ich könnte, wenn ich wollte über Eisenach, Hörschel und an der Werra entlang, will aber nicht, weil ich da schon öfters lang bin. Ich frage Maps nach Querfeldein und bekomme eine Antwort, die es in sich hat. Zwischen Wutha und Eisenach, geht es steil hinauf in die Hörselberge. Wow, ich gebe zu, dass ich ein paar Meter mein Rad sehr liebe und schiebe. Aussichten und Landschaft belohnen die Mühe. Durch den südlichen Hainich navigiert mich Maps über menschenleere Waldwege, dass ich schon fast glaube, die Erde wäre evakuiert worden. Der Trail ins Werratal ist der Wahnsinn und dann bin ich in Mihla. Auf den letzten paar Kilometern bis zu meinen Tagesziel, gibt es alle paar Meter einen Kirschbaum. Die ersten hundert Kilometer meiner Tour sind Geschichte und schon die Stachelbeertorte hat alle Mühe vergütet.
Tag 2: Probstei Zella – Treffurt – Wanfried – Lengenfeld – Effelder – Kefferhausen – Dingelstedt – Mühlhausen - Thamsbrück
Der Dienstag, ist wieder einmal ein Tag, an dem die Erde um die Sonne kreist. 😊 Oder war es doch umgedreht? Das ist im Moment aber auch völlig egal, ich mache schließlich einen Kurzurlaub mit meinem Rad. Viel wichtiger ist doch das Wetter, fürs Gemüt, fürs Radfahrerherz, fürs … Für einen Sommermorgen ist das Wetter am Dienstag eher funktional als ontologisch. Dessen ungeachtet gehe ich noch vor dem Frühstück, im kleinen Felsenbad baden. Baden ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, ich war mich erfrischen. Uaaah! Die Probstei, das möchte ich erwähnen, ist ein kleines Paradies für Familien mit Kindern. Viele Pferde, Streichelzoo, großer Spielplatz, kleines Bad, Kanufahren, Zeltplatz und alles im idyllischen Rahmen und gutes Frühstück können die auch. Beim Radfahren, kommt mir der Gedanke, jede Radtour verlängere meine persönliche Lebenszeit um genau den Wert, den ich in die Pedalen trete. Nach meinen Berechnungen werde ich bestimmt 111 Jahre alt und verpasse fast die berühmte Bauernkanzel in den Falkener Klippen. Hier predigte Thomas Münzer vor ein paar Jahren solange auf die Bauern ein, bis sie ihm in den Bauernkrieg und in den Tod folgten. Das nenne ich Überzeugung! Falken ist schon ein hüsches Örtchen und Treffurt ein schmuckes Städtchen. Und zwischen Örtchen und Städtchen, gibt es Kirschbäume. Ich weiß jetzt gar nicht ob ich das jetzt andeuten soll, aber so leid es mir tut, hinter Treffurt ist Schluss mit Thüringen. Die nächsten Kilometer bestechen mit hessischem Fachwerk und hessischer Beschaulichkeit. In Wanfried, verlasse ich den Werraradweg und biege zum Kanonenbahnradweg ab. Bald bin ich wieder in Thüringen, genauer gesagt im Eichsfeld. Eine FB-Freundin aus dem Heilbad Heiligenstadt schrieb mir vor ein paar Tagen: „Man sagt, das Eichsfeld ist die geheime Perle Thüringens, hier hat der Herrgott, die Erde geküsst. 😃!“ Das werde ich nun überprüfen und ich weiß nur, vor mir war auch schon mal ein Papst da. Eines weiß ich aber schon bald, ich werde wiederkommen, nicht alleine wegen einer verpassten Draisinenfahrt auf der Kanonenbahn und über den spektakulären Lengenfelder Viadukt. Schade, dass ich da nicht mit dem Rad drüber darf. In Effelder besuche ich den Dom des Eichsfeld, in Kefferhausen gibt es blühende Bienenweide bis zum Horizont, jedes Pflänzchen eine leuchtende Verheißung und es gibt die Unstrutquelle. Das Eichsfeld ist wunderschön und ich werde mir das nächste Mal mehr Zeit lassen. Versprochen! Vor zwei Wochen bin ich von Nebra nach Laucha auf der Unstrut mit dem Kajak gepaddelt und nun kann ich den Fluss zwischen meine Beine nehmen. Schön ist der Skulpturenwald hinter Dingelstedt. In Mühlhausen (hier war ich vor zwei Jahren zur geilsten Stadtkirmes von der ganzen Welt) nehme ich die Altstadtroute und komme alsdann in die Heimat, in der ich die ersten zwölf Jahre meiner Kindheit verbrachte. Erwachsen werde ich wohl nie, weil ich aus dem Alter einfach raus bin. Im Garten meiner frühen Kindheit wird der Grill angeheizt und im Pool, kann ich mich erholen. Ganz lieben Dank dafür! Die zweiten hundert Kilometer, meiner kleinen Radtour, sind nun Geschichte. Ach ja, ein Kirschbaum ist auch da.
Tag 3: Thamsbrück – Bad Langensalza – Ballstedt – Gotha – Neudietendorf – Molsdorf – Arnstadt – Stadtilm – Gehren – Rennsteig - Liegestuhl
Im Übrigen, alle guten Tage sind drei. Letzten Mittwoch am Morgen, das schöne Frühstück war vorüber, der Kirschbaum fast leer gepflückt und mein Drahtesel war gepackt. In geistiger Arbeit habe ich die nächsten hundert Kilometer der Tour schon eingetütet. Vor allem den heutigen Streckenverlauf, damit das Qi fließen kann. Feng-Shui für Radfahrer, Leute wie ich sind so. Los geht’s, von Thamsbrück in den Böhmen, den Abenteuerspielplatz meiner frühen Kindheit. Ich lege mich flach auf den Bauch, damit die Seerose besser in mein Feng Shui passt. Oh Mann! Und? Ja, und Bauch habe ich auch! Bad Langensalza ist die Stadt, die in meinem Ausweis als Geburtsort steht und ich muss sagen, je älter ich werde umso schmucker wird das Städtchen. Wer liebevoll restauriertes Fachwerk im mediterranen Flair liebt, so wie ich, der wird sich verlieben. Hier überlasse ich Google Maps die Organisation der einsamen Feldwege, die mich über Burgtonna nach Ballstedt bringen. Mit mir ist wieder gut Kirschen essen. An der Blockwindmühle höre ich Don Quijote sagen: „Tatsachen, mein lieber Sancho, sind die Feinde der Wahrheit.“ Tatsache ist: Windmühlen werden immer dort gebaut, wo der Wind weht und der weht mir nun gehörig entgegen. Der bläst mir förmlich jedes Feng Shui aus den Gehirnwindungen. In Gotha bin ich so strapaziert und windgeprüft, dass ich beschließe eine Station mit der Bahn zu fahren und wirklich - Neudietendorf liegt in einer Windruhezone. Schön finde ich den alten Kirchberg mit endlosen Streuobst- und Blumenwiesen. Die nächste Station ist Molsdorf und ich komme in den Schlosspark, quasi durch die Hintertüre. Marode und schön und eine Bockwurst gibt es auch. Kaffeepause und schöne Dialoge bei einer Freundin. Wenn das Wetter, der Weg stimmt und das Qi fließt, wird man sofort glücklich und badelustig. Und, wenn ich zwischen Ichtershausen und Arnstadt badelustig werde, kann ich verbotene Dinge tun. Baden im Baggersee. Wie war das mit dem Erwachsenwerden? Theoretisch, könnte ich gleich anschließend in die Jugendstrafanstalt radeln, aber ich hole mir lieber in der Rudislebener Eisdiele ein leckeres Eis. In Arnstadt, finde ich, es wäre ein gutes Programm, vom Geraradweg zum Ilmradweg zu wechseln. Den Radweg zwischen Arnstadt und Stadtilm kenne ich noch nicht und bin schon von der nächsten Dorfkirche verblüfft. Johann Sebastian Bach heiratete hier vor ein paar Jahren seine Maria Barbara. Der Weg ist schön, der Weg ist abwechslungsreich und anspruchsvoll. Einen langweiligen ebenen Meter finde ich nicht. Im Nahkauf in Stadtilm decke ich mit den Kohlehydraten ein, die ich auf den letzten fünfzig Kilometern verbraten werde. Bis Gräfinau`s Anawerk nehme ich den starken Gegenwind mit etlichen Humoren, bis ich fix und fertig bin. Nach Gehren radle ich die Landstraße, die auf Grund einer Baustelle nur für mich da ist. Im Schobsetal finde ich zufällig einen Radler, mit dem ich die letzten vierhundert Höhenmeter kooperativ angehe. Am Rennsteig, am Dreiherrenstein sende ich das Victoryzeichen in den Himmel. In meiner Garage, lasse ich mich total platt und total happy in den Liegestuhl fallen.
(!!!) ich denke schon über die nächsten dreihundert Thüringer Kilometer nach.
Wie sieht Thüringen eigentlich östlich der Saale aus? 😉
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Evi (Samstag, 01 August 2020 13:47)
Ich könnte die Reiseberichte noch 20x lesen und finde sie immer wieder erfrischend.
Horst (Freitag, 28 August 2020 22:18)
So schön beschrieben und ins rechte Licht gerückt. Fein.
Wilma (Dienstag, 19 Januar 2021 21:04)
Du hast einiges beradelt, was ich mal meine Heimat bzw. Zuhause nennen durfte. Viele von deinen Raststellen kenne ich. Ich hatte das Gefühl bei der Tour dabei gewesen zu sein. Vielen lieben Dank, für diese tolle Tour, lieber Ulli.