· 

Thüringer Meer und Calvados

Der Thüringer Wald. Unendlicher Sommer. Wir schreiben das Jahr 2018.

Die älteren Leser unter euch, erinnern sich bestimmt noch an den Sommer 2018 der kein Ende finden wollte. 

Die Jüngeren können die Ereignisse hier einfach nachlesen.  Es war schon September und noch immer wechselten sich kobaltblauer mit azurblauem Himmel ab. In meinen Gedanken erfolgte gerade eine Aufzählung jener Thüringer Städte und Regionen, die ich noch nicht diesen Sommer beradelt hatte. Saalfeld und Rudolstadt fallen mir ein. Trixi und Sven fallen mir ein. Die anwesenden Gedanken bejubelten meinen Beschluss. An einem frühen Dienstag nahmen meine Waden ihre Arbeit auf und verschafften mir erste eindrucksvolle Kilometer. Übern Rennsteig radeln sie nach Neustadt und springend hinab ins vergessene Wildenspring. Ein wirklich versunkenes Tal ist das zehn Grad kältere Schwarzatal. Zu wenig Sonnenschein, der sich in dieses Tal verirrt, verfallene Häuser, keine Spur von blühenden Landschaften. Ein Tal, das mir immer depressive Gedanken bringt. Ich will gerade an irgendeiner grauen Haustür klingeln und den Bewohnern sagen, dass der Krieg seit 1945 aus ist, da entdecke ich den Sitzendorfer Weihnachtsbahnhof. Jetzt muss ich doch schmunzeln. Nach den Ruinenfeldern geht es sentimental, architektonisch, historisch und sonnenscheintechnisch in schönere Gefilde. Schwarzburg ist echt ne Perle. An der Antonius-Quelle im Bad Blankenburger Kurpark verweile ich zu einer Trinkkur. In Schwarza bin ich wesenhaft gar nicht mehr im Schwarzatal, sondern im Saaletal. Punkt Zwölf umarmt mich Trixi in einem Café auf dem Saalfelder Markt so sehr, dass ich vor Freude meine Kaffeetasse umschmeiße. So ein Wiedersehen ist halt umwerfend.  

Das Leben ging diesen Nachmittag wunderbar weiter. Erst lerne ich die kultigste Eisdiele im Saaletal kennen. Dann reisten wir ans Meer. Ja, die Hohe Warte wird auch als Thüringer Meer bezeichnet. Ab in die Fluten. Die Zeit wollte kaum vergehen. Warum auch? Es war meine Uhr, die im schönsten Moment stehen blieb. So konnte ich kaum zur vereinbarten Zeit in Rudolstadt sein, schaffte es aber zum perfekten Garpunkt der Rostbrätle da zu sein. Manu und Sven bewirten mich großartig. Später beschließen wir das kleine Pilgertreffen mit edlem Calvados aus der Normandie. Gut gestärkt wird gut geschlafen. 

Prasselnder Regen weckt mich am Morgen. Wie das? Von Regen war nirgends die Rede und meine Taschen wohnen ohne Schutz auch noch auf dem Rad im Garten. Egal, ist ja nur Wasser. Leckes Frühstück und die Sonne lacht schon wieder. Ab Schaala geht es dann bergauf. Von der Liske geht der Blick über das morgentliche Saaletal. Die Burg Greifenstein ist verriegelt und verrammelt und an der Erlebnisbrauerei in Watzdorf finde ich den Radweg der mich von der Saale ins Ilmtal navigiert. In Königssee bringt der ansässige Uhrmacher meine Uhr wieder zum Laufen und verrät mir die Adresse einer ehemaligen Arbeitskollegin, die ich vor vielen Jahren aus den Augen verlor. Das wird aber total traurig, weil ich unverhofft in meiner Freude übers Wiedersehen in eine Trauer gerate. Ihr Sohn ist vor wenigen Wochen im künstlichen Koma verstorben. Er wurde 28 Jahre alt. 

Mit beschwerten Gedanken geht es weiter durch den späten Sommer. In Paulinzella treffe ich den Lutherweg, der bis zu meiner Haustüre führen könnte. Könnte, nur deshalb, weil ich in Gehren erst das nächste Tal nehme. Das Wallrosetal befördert mich zum letzten Bad des Jahres im Ochsenbacher Teich. Beim verdienten Bierchen in meiner Garage schaue ich dem Abendrot zu. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0