Der Duft der großen weiten Welt, schwebt mir am Montagmorgen mit feuchter Kühle in die Nase. Das perfekte Klima um Gedanken zu sortieren.
.Aber erst einmal muss mein schwerer Schädel das Meditationskissen verlassen. Im Frühstücksraum bemerke ich, dass ich nicht nur das Zimmer alleine hatte, sondern die ganze Herberge. Der Koch in der Küche schneidet Gemüse und scheint zum ersten Mal ein Messer in der Hand zu halten. Also schaue ich liebe aus dem Fenster, dort regnet es und ich denke über Neoprenanzug mit Taucherbrille und Flossen nach. Ganz so bedauernswert ist es dann doch nicht, die Regenjacke reicht. Schnell finde ich den richtigen Weg aus Leipzig heraus. Eigentlich finde ich drei Wege auf einen Weg, der Radweg Leipzig-Berlin, der Lutherweg und der Jakobsweg. Also ich bin auf drei Wegen in einer Landschaft unterwegs, die sich Dübener Heide nennt. Fantastischer Nieselregen inbegriffen.
Hier kann ich meine Einbildungskräfte mischen, damit sie ihren korrekten Platz finden. Dazu kommt noch, dass sich mein Ich, bei vielen Gedanken einfach nicht sicher ist, für was die Gedanken im Grunde gut sein sollen. Ich habe mich beruflich auf etwas eingelassen, ohne genau zu wissen, auf was ich mich da eingelassen habe.. Schon dreimal hat das Handy gesummt, ich geh nicht dran. Muss Nachdenken! Je glatter ein Gedanke, desto verführerischer die Wirkung. Eine Konditorei mit duftenden Kaffee und Kuchen wäre nicht schlecht. In Bad Düben habe ich das verpasst und muss auch meine Vorstellungen über eine Heidelandschaft restaurieren. Meine erfahrene Heide besteht aus endlosen Kieferwäldern und nassen Kopfsteinpflaster. Neben dem Geholpere gibt es oft einen schmalen Streifen aus bodenlosem Sand. Dafür versucht sich gerade ein Sonnenstrahl durch die Wolken zu mogeln und das Geholpere verhindert unanfechtbar jede Arthritis. Gefühlte 50 Kilometer Kopfsteinpflaster später gibt es Sonne. Ich bin an der Elbe.
Es lohnt sich, Wittenberg zu besuchen, zumal ich prompt eine Konditorei finde. Unterwegs hatte ich mir schätzungsweise hundert Thesen ausgedacht, die ich hier an eine Kirchentür nageln wollte. Irgendein Luther war aber schneller und hatte das schon für mich erledigt. Dennoch lande ich unverzüglich im Kerker. Die Jugendherberge hat sich im ehemaligen Gefängnis eingerichtet und die Einzelzelle kostet 28 € mit Frühstück. Wer in Deutschland montags Museen oder Galerien besichtigen möchte, hat erfahrungsgemäß schlechte Karten. Das macht aber nichts, schließlich bin ich ja gut gelaunt. Also besteige ich den Turm der Schlosskirche, schaue nach der Hundertwasserschule, fotografiere im DDR-Museum (das hat auf) die ABC-Zeitungen, und schaue im Cranachhaus dem Meister über die Schulter. Es dürfte Lucas Cranach der Jüngere gewesen sein, rein vorm Alter her. Während ich so durch die Kultur flaniere, bleibt eine ältere Dame jäh vor mir stehen und ich kann den Zusammenstoß kaum verhindern. Nachfolgender Dialog entsteht: „Junger Mann, da wären se ja fast uff mich druff jefallen, da hätte ick nach de Polizei jeschrien!“ Ich: „Oh, da hab ich aber Glück gehabt.“ Sie: „Vielleicht hätt ich ooch nich geschrien und wir hätten ne Menge Spaß jehabt!“ Ich schaue einer stark bepinselten 70zigerin ins Gesicht, bekomme es mit der Angst zu tun und ernte ein herzhaftes Lachen. So bunt war der Eintopf des Tages.
Den Eintopf muss ich erst mal sacken lassen und drei Flaschen geschichtsträchtiges Lutherbier haben den Abend auch nicht überlebt.
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