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4. ... nach Fulda und in das Königreich Flieden

Fast wäre ich schon um 6.00 Uhr aufgestanden, doch es sind nur die Regentropfen die am Dachfenster trommeln. Ich kuschle noch mal zurück und denke: „Jetzt schlafe ich noch mal ein.“ 

 

Und eine halbe Stunde später wache ich mit dem Gedanken auf, das ich ja noch ein bisschen schlafen könnte. Im Schlaf muss ich wohl an mein Tagebuch gedacht haben, zu dem ich gestern keine Zeit finden konnte. Die Stichpunkte die ich schreiben muss, liegen kristallklar vor meinen Augen. Einmal gegähnt, ist wie eine Stunde geschlafen. Ich suche den Stift und die Regentropfen am Dachfenster funkeln im Sonnenlicht.  

Eine Etage tiefer fangen Meerschweinchen an zu quieken, sie bekommen Frühstück. Das wäre jetzt auch was für mich und Sandra hat schon den Frühstückstisch gedeckt. Dann heißt es Abschied nehmen. Schön war’s! 

 

Es wird fast Neune bis ich das Rad besteige. Die Luft ist ganz schön frisch geworden und aus meinen Beinen raus. Eine Mamutetappe wird das wohl heute nicht, so viel ist mir auf den ersten Metern klar. Am Haunessestausee finde ich die Jakobsmuschel und der Weg ist bis Fulda sehr gut ausgeschildert. Sanft geht es bergauf und ab. An einer Wegkreuzung finde ich Jakobus, eingerahmt in die gewaltige Kulisse der hohen Rhön. Wir haben jetzt beide die Wasserkuppe im Rücken und ich kann das Echo meiner Gedanken hören. In dieser herben Idylle fällt mir nichts Anderes ein, als mich auf die Bank zu setzen und Tagebuch zu schreiben. Festhalten für die Ewigkeit oder Sauerstoffüberangebot!?!?

Der beste Ort um erste Eindrücke zur Stadt Fulda zu gewinnen, ist der Petersberg. Schon lange bietet er einen schönen Anblick und oben bietet er einen fantastischen Ausblick. Ein Besuch der Kirche Sankt Peter muss unbedingt sein. Der romanische Nachbau der Grabeskirche in Jerusalem ist hell und herrlich bemalt. Kirchenbesuche gehören so gar nicht zu meinem vermeintlich normalen Freizeitverhalten. Hier fühle ich mich schüchtern und meine Schritte sind noch einen Tick leiser. Eine Schwester, vielleicht auch Nonne, die Reinkarnation von Mutter Teresa, vielleicht derselbe Orden, ist mit mir im Raum. Wir nicken uns freundlich zu. Später spricht mich die Schwester auf die Jakobsmuschel an. Ich erkläre ihr, das ich in Etappen nach Santiago pilgern möchte, dass ich den vierten Tag unterwegs bin und Nancy in Frankreich als Ziel habe. Sie legt mir ihre Hand auf die Stirn und wünscht mir den Segen Gottes. Gänsehaut. 

 

In der Stadt bin ich der normale Tourist. Altstadt, Stadtschloss und Schossgarten, Dom und Michaelskirche müssen meine Blicke aushalten. Insgesamt wirkt die Stadt sehr mediterran. Viele Palmen. Mir fällt auf, dass Fulda recht viele kleine individuelle Läden hat, statt dem typischen Tchibo neben Handyladen neben Kamps und Apollo Optik. In der Sakristei der Michaelskirche bekomme ich den Stempel ins Pilgerbuch. Vom Hügel dieser Kirche (Sandra hat mich am Morgen extra darauf hingewiesen) sieht man, dass der Domplatz eine riesige Jakobsmuschel ist. Hier stand schon der Pilger im Mittelalter und musste eine Entscheidung treffen. Der Muschelweg über den Bodensee, Einsiedeln in der Schweiz und Südfrankreich oder meine geplante Route über die Via Regia, Frankfurt, Luxemburg, Vezelay stehen zur Auswahl.  


Gedanken: Wenn man an den „Drei Zinnen“ südlich von Alvor die traumhaft schöne Felsalgarve in Richtung Albufeira bewandern will, braucht man einen Tideplan. Die Wanderung lohnt, findet man dort ja auch die schönsten Jakobsmuscheln. Eine davon hängt heute an meinem Rucksack. Der Urlaub ist jetzt acht Jahre her und es war der letzte Gemeinsame in einer 16-jährigen Beziehung. Irgendwann zersprang der Zauber. Es war damals schon klar, dass wir uns trennen werden und mir war klar, wozu ich die Muschel brauchen werde. Alles zu seiner Zeit. 


Meine Wahl des Weges bringt mich zunächst in die Fuldaauen, in die Propstei und zur Lourdesgrotte. Ja, hier gibt es so etwas! Der Monte Kali ist der dritte Kunstberg und der höchste, auch er zieht langsam Richtung Osten. Die alte Heerstraße, im Schatten des schneeweißen Berges, nach Neuhof verlangt einiges von mir. Sie soll römischen Ursprung haben und ich sehe Asterix und Obelix den römischen Kohorten eins auf die Manipel geben. 

Kurz vor einem Gewitter ist eine ganz eigene Stimmung in der Luft. Die Umgebung klingt auch irgendwie anders. Die Stille wird lauter und die Vögelei ist verstummt.  Die Bilder werden intensiver und mir rollt die Werbetafel einer Pension vor das Vorderrad. http://www.pension-natalia.de/ 25 € kein Frühstück. Zehn Minuten später darf sich mein Rad in der Gesellschaft eines Lanz-Bulldog sicher fühlen. Blitz und Donner begleiten den Blasenregen. Hier ist also mein heutiges Radfahren zu Ende und es reicht ja auch. Wenige Wochen später lese ich im sozialen Netzwerk von einem netten Pilger aus Rudolstadt, der ist das locker zu Fuß gegangen. J  Ich mache ein spätes Mittagsschläfchen.

Später sitze ich im Café in der Nähe und ergattere für Samstag das letzte freie Bett in der Jugendherberge am Deutschherrenufer in Frankfurt. Internet ist schon praktisch. Bis dahin sind zwei Tage Zeit und ich erkunde nun ein Königreich.  Warum Flieden ein Königreich ist, dafür gibt es mehrere Erklärungen. Mir gefällt die aus den Napoleonischen Freiheitskriegen am besten. https://www.wifo-flieden.de/k%C3%B6nigreich-flieden/ Beim Hin- und Herspazieren entdecke ich ein Ostdeutsches Museum (Ostdeutsch im Sinne von ganz östlichen Deutsch, von der Memel, der Zips oder dem Sudetenland) und ich entdecke drei Gasthäuser. Meine Entscheidung für den Abend fällt auf den Ochsen. Vorher wird Sankt Goar und das Pfarrhaus besucht. Im Ochsen ist Donnerstag der Pfannkuchentag und er ist gut besucht. Zu meiner mexikanischen Pfannkuchenversion gerate ich in eine Runde fröhlicher Fliedner Königskinder. Echt lustig! https://www.gasthaus-zum-ochsen-flieden.de/

 

  

Fazit: Heute ein König


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