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Von Nürnberg in die Schweiz Tag 2

(Tag 2: Burg Wernfels – Altmühlsee – Gunzenhausen – Oettingen – Nördlingen)

 

Ich weiß nicht, ob es den Regeln der Pilgerei entspricht, in allen Einzelheiten jeden Meter, meiner Radfahrt durchs sommerliche Coronien, mit Buchstaben und bunten Bildern zu schmücken. Vielleicht aber …  doch?

In einer bejahrten Burg, wo jeder Stein eine Geschichte erzählen dürfte, wo die Heizung läuft, wo die Wäsche trocknet und wo Burggeister Träume referieren, da schlief einmal ein Ulli. Beim Aufwachen wollte mir der neue Tag gleich mal erzählen, was es Neues gibt. Es regnet. Frühstück gibt es im Separee nur für mich und bunter Bleiverglasung, die schon nach der zweiten Tasse Kaffee leuchtet. Swird, denke ich! Es lebe der Tag, an dem mich der Regen schmunzeln lässt. Wäre ich auf einer gewöhnlichen Radtour, würden mir diese Signale nur nebensächlich innewerden. Jetzt beachte ich sie, denke an Frankreich mit dem heißesten Sommer meines Lebens, denke an schöne Pilgererlebnisse. Glückt es mir hier und jetzt an diese Erlebnisse anzuknüpfen?

Auf dem steilen Weg nach Theilenberg schleicht eine Weinbergschnecke und es taucht eine Ahnung auf, dass Zeit und Ewigkeit völlig eins sind. Ein Opa übt mit den Enkeln das Radfahren und ich frage ob sie mitkommen. „Wo solls denn hingehen?“ ist die Gegenfrage vom Opa. „Nach Santiago!“ „Dann musst du rechts abbiegen!“ folgt als Ratschlag. Dem ist so. Bis Kalbenstein sind die Wege rutschig und aufgeweicht und ab Brombach bin ich nicht immer auf dem richtigen Weg, aber gut unterwegs zum Altmühlsee. Der liegt zwar abseits vom Jakobsweg, aber darauf kommt es mir gar nicht an. Ich sehe die wilden Blumen, richtig bunt sind sie und die Schmetterlinge, ich schnuppere den Wald, da kann ich gut die Gedankenflüge auf mich loslassen. Ich ertappe mich bald bei Betrachtungen, die Zukunft und Metastasen heißen, die in eine Sackgasse führen. Nö! Ändern kann ich es eh nicht! Ehe ich mich versehe, pausiere ich am Strand, mache kneippsche Fußbäder, lasse es mir gut gehen. Ein Blick zurück überrascht mich, am Himmel braut sich was. Nö! Nö, denke ich, wird mein neues Lieblingswort. In Gunzenhausen gibt es das Café Lebensfreude, im Café Lebensfreude gibt es Kartoffel-Mango-Chili-Gratin mit aromatischer Geschmacksexplosion und der prasselnde Regen draußen kann mich mal. Nach einer halben Stunde hat es sich ausgeprasselt. Solange ein Vogel seine Federn hat, fliegt er nach dem Süden, denke ich als ich, als tausende Vögel auf den Stromleitungen im Altmühltal sehe. Der Vogelkundler in mir schenkt Assoziationen, die Herbstflüge nach Mallorca heißen und die ich am besten mit meinem Beichtvater berede, falls ich mal päpstlich werde. Die Landschaft wird anders, landschaftlicher, leidenschaftlicher, hügliger. Die Dörfer heißen Aha oder Pflaumenfeld und ich besuche schon mal die Kirchen, die reich geschmückt sind und Beichtstühle haben. Ab Spielberg geht es steil hinauf zum Kamm vom Hahnenkamm. Hier schaue ich ringsherum ins Weite, bestaune Bildhauerkünste. Hingerissen bin ich von der Burg Hahnenkamm, eine wahre Kunstburg mit Kaffee, Mirabellenkuchen und mich als einzigen Gast. Es folgt ein längeres und verzweigtes Gespräch mit der Kuchenbäckerin, dabei erfahre ich, dass die Burg das Atelier vom berühmten Bildhauer Steinacker ist, nebenbei höre ich, dass Bayern eindeutig Frankens lustiger Süden sei und mit Franken sei nun Schluss. Von jetzt an, stimmt das. Oettingen heißt Oettingen in Bayern, hat eine Oettinger Brauerei und die Schlossstraße. Rechts weilt katholisches Fachwerk und links verweilt evangelischer Barock. Die Attraktion aber, die finde ich in einem verwilderten wunderschönen Garten. Es ist die riesige Jakobsmuschel. Später warnen Verkehrsschilder vor Biberschäden und von Westen her, droht abermals wettertechnisches Unheil. Wie war das mit dem Grinsen? Die Konditorei Altreuter hat nicht nur ein schönes Zimmer für mich, diametral von Sankt Georg, auch ein Stückchen leckere Obsttorte. Der Wolkenbruch darf ohne mich auskommen. Grins! Dann wird Sommerabend und Juhu 🤔🙂😊 ich bin in Bayern! Genauer nachgedacht, bin ich in Nördlingen. Die coolen Bajuwaren haben hier, das "NÖ" als Kennzeichen. Das wird mein zukünftiges Lieblingswort, viele Sachen betreffend, aber das weiß ich ja schon. Man muss es Nördlingen schon lassen, ein wunderbares Städtchen mit dicker Pizza, Postkartenkulisse und einer durch und durch wohlbehaltenen Stadtmauer. In einem der vielen Türme gibt es die Bierbar, in der ich den Tag sacken lasse, Tagebuch schreibe. Als die späte Sonne die nassen Dächer trocknete und leuchten lies, spülte der Wirt die Biergläser derart musikalisch und offenbarte doch ungeheuerliches. Nördlingen wäre zwar in Bayern, doch hier leben die Sieben Schwaben. 😊 Ein guter Tag. 

Wie sagte mal ein hochgeschätzter Schwabe: Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden. (Einstein)


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Kommentare: 2
  • #1

    Evi (Montag, 02 November 2020 07:36)

    100 Fragen purzeln auf mich ein....stell ich sie oder warte ich, bis Du sie nebenbei selbst beantwortest. Nö...ich verweile und lesen alles nochmal. Hast Du schon mal eine Liebeserklärung bekommen, weil Du so wunderverrückt schreibst? Nö? Das ist das jetzt meine .

  • #2

    https://www.ulliunterwegs.de/ (Montag, 02 November 2020 08:57)

    Ganz lieben Dank :-)