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Von Nürnberg in die Schweiz

Erster Tag: Anreise und von Nürnberg zur Burg Wernfels

Zugegeben, das zwanzigste Jahr im jungen Jahrtausend schwankt. Es schwankt mächtig! Hoch und Tief, bergauf und bergab, privat und beruflich, es schwankt, das mir schwindlig wird. Physisch und psychisch. Genauso verhält sich gerade die Chemo zu mir, mal fit wie der Turnschuh, nur zehn Minuten später zum Brechen übel, quasi das durchgängige Leben in diesem Jahr, wolkenwärts und tief im Graben. Ich könnte jetzt ein Traktat über schwankende Jahre beginnen, könnte vom verlorenen Jahr faseln. Das jedoch entspräche nicht den Tatsachen. Im August führte ich einen langgehegten B-Plan aus, an den ich an dieser Stelle ins Gedächtnis rufe. Der A-Plan, von Périgueux nach Bilbao radpilgern, musste in die Zeit pilgern, in der ich mich zukünftig drauf freuen kann. Seit vier Jahren habe ich einen möglichen B-Plan. Tja, warum das so ist, das kommt hier https://www.ulliunterwegs.de/zweiter-jakobsweg/ ganz gut zur Betrachtung. Und, eins vorne weg, ich wird’s immer wieder tun, warum auch immer. Ich finde B-Pläne sind eine prima Sache.  

Es ist also August und noch dunkler Montagmorgen, als ich meine Sorgen provisorisch in den Schlafzimmerschrank drapierte, und loslegte. Kühl wars, wie ich durchs Gläsertal nach Stützerbach radelte. Erstes Morgenlicht erlebte ich im Manebacher Grund und fotografierte Kühe. Minuziös erwischte ich den Zug, der mich via Erfurt ins Jenaer Paradies brachte. Auslöser für vier Tassen Kaffee in der dortigen Kantine, war wohl ein massiver Polizeieinsatz auf irgendeinen Bahnhof irgendwo. Hab es nie rausgekriegt, was passiert war. Aus beabsichtigtem Vormittag wurde Nachmittag, als ich in der Nürnberger Jakobskirche den ersten Stempel stempelte und mit viel Knoblauch und Döner den kleinen Hunger stillte. Es sind drei Jakobswege, die Nürnberg in Richtung Apostelgrab verlassen und das machte mich etwas desorientiert, als der Weg durch eine labyrinthartige Parklandschaft führt. Eine unnötige Verkomplizierung sind die vielen abgekratzten Jakobsmuscheln. Ich verstehe von all dem wenig und weiß nur das Vandalismus früher eine germanische Tugend war. Mit solch verirrten Gedanken mache ich das Navi an. Irgendwann finde ich die Jakobsmuschel wieder, hake Nürnberg und die moderne Technik ab. Der Weg ist schön, es gibt Wald, Wiese, Trails und versteckte Badeseen. Manchmal geht’s hinauf, manchmal hinunter. Die Irritation folgte, als der Himmel immer düsterer wird und ich das Navy wieder einschalte. Statt der Burg Wernfels näher zu kommen, war ich wohl etliche Kilometer unnäher gekommen. Ich bin schlicht der unrichtigen Muschel gefolgt. Während der später richtige Weg durch Landschaft, Dörfer und kleine Städte lenkt, wird es immer wolkendunkler. Exakt mit dem Platzregen finde ich einen Tunnel. Wenn dicke kalte Güsse niederfließen, die Hasen in den Büschen niesen. Aber nachdem sich mein Glaube an ein Regenende, als Erkennen der drohenden Sintflut herausgestellt hatte, merkte ich, dass meine Regenklamotten dem nicht gewachsen waren. Pitschenass erreichte ich die Burg und bekam eine Kemenate über dem Burgtor zugewiesen. Eine Einzelkammer mit Heizung und Fernseher. Heizung ist gut! Nach Belieben hatte sich Feuchtigkeit in all meinen Klamotten breitgemacht. Wenig später hatten sich alle Kleidung in der Torkammer breitgemacht. Alles in allem wird es ein schöner Abend, mit viel jugendlichem Volk, Currywurst, Pommes, großen Salat und Joghurt unter antiken Balken, wo einst Fürsten und ihre Zofen speisten. Die anschließende Verdauungsrunde geht zurück ins Mittelalter. Die Abfindung mit dem Regen erfolgt im Bischofsgarten bei eins zwei Bier, erzähle dabei mit einem Holländer und ich schau der Jugend zu. Was for heaven’s sake machen die da? Die Pubertät kennt Spiele, die kannte ich fast nicht mehr. Pantomimisch Tiere raten, Rhinozeros, Elefant, Maus, Storch, Pinguin, die Affen haben mir am besten gefallen. Es regnet immer noch und der Fernseher bleibt aus.        

Ich vergaß zu berichten, dass nach dem Regen die Sonne scheint. Das passierte mir auch erst am zweiten Tag.


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