· 

TourdeBerlin - von Wittenberg nach Potsdam - April 2018

Also wenn ihr mich fragt, die Meisten tun das leider nicht, könnte ich euch sagen, es ist ganz schön laut hier. 

 Gut erfrischt und frohen Mutes sitze ich im historischen Frühstücksraumgewölbe und weiß ich nicht, wie ich es meinem Nebenmann am Nebentisch beibringen soll, dass er von gediegen Frühstücken nichts versteht. Wahrscheimlich hat der Mensch eine Schilddrüsenüberfunktion oder ein anderes Übel. Mein Gott, warum schmiert der nicht einfach ein Brötchen und beißt rein, dann könnte sein hübsches Gegenüber sich das bemitleidende Kopfschütteln sparen. Mir geht auch seine Standpauke nicht das Geringste an. Was für ein Mist. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Vorsichtshalber rieche ich am Joghurt, aber der ist völlig in Ordnung. Draußen ist der tiefste blauste und schönste Frühlingshimmel, den sich ein April ausdenken kann. Binnen kurzem sitze ich auf dem Rad und tauche in die Einsamkeit des Fläming ein. Hier gibt es entspannte Ruhe und Morgentauelfen und das erhellt mein Gemüt augenblicklich. In der stillen Landschaft agieren Hirn und Augen automatisch auf äußere Reize und das lebensnotwendige Mobiltelefon bleibt aus, bis ich die persönliche Identifikationsnummer vergessen werde. Jetzt müssen sich Feld und Wald um meine Psyche zu kümmern. Ist erlaubt. 

Der hohe Fläming wird mit der Burg Rabenstein augenblicklich höher und noch höher bin ich auf dem Bergfried, mit endlosem Laubbaumpanorama.  Zuvor hat der Wirt für mich die Kaffeemaschine angekurbelt. Ein freundlicher Mensch. Auch der weitere Weg gefällt mir recht ordentlich und wenn der Weg das Ziel ist, kann ich ja schlecht falsch abbiegen. Dabei gehört es zu meinen unumstößlichen Prinzipien den Wochenmarkt in Belzig auf Backfischbrötchentauglichkeit zu prüfen. Es gibt kein Tiefkühlgebilde, das Filet meiner Wahl wird tatsächlich vor meinem Auge durch den Bierteig gezogen und frittiert. Mein großer Hunger hat bestimmt keine organische, er hat eher psychische Ursachen. Darum bestelle ich gleich ein Zweites. Nach dem Vorgang der Essensaufnahme bin ich auf dem Europaradweg R1 unterwegs, der 4.000 Kilometer lang, durch zehn Länder und drei Zeitzonen von London nach Sankt Petersburg führt. Das hört sich doch interessant an und dass könnte sich als Abstraktum in meiner linken Gehirnhälfte festsetzen. Kiefernwälder, Truppenübungsplätze, Sandwege, Spargelfelder, Kopfsteinpflaster, sandige Kieferwälder, Spargelfelder, Beelitz-Heilstätten, Kiefernwälder, Berliner Ring, sandige Wege, Ferch, Kiefernwälder, Kopfsteinpflaster, Sandwege und schon bin ich an der Havel oder einem Havelsee.

So genau weiß ich das immer nicht. Seit einiger Zeit habe auch ich die Zeichen am Aprilhimmel erkannt. Es gibt jetzt Wolken und die Wolken werden immer dichter. Es wird Zeit nach Potsdam zu kommen. Hin- und hergerissen zwischen meinem Rang als Wegbeschreiberlein könnte ich viele schöne Dinge protokollieren, die mich mit Freude an der Havel der Länge nach begrüßen. Mein Hirn legt sich da glatt mit Goethe an und das möchte ich euch echt ersparen. Potsdam zeigt beeindruckende Fassaden, viel Grün, viele Blumen, das muss reichen. An der Orangerie mache ich kurz das Handy an, weil ich das Hostel nicht gleich finde und gebe tatsächlich eine falsche PIN ein. So ein Kurzzeitgedächtnis. Überraschenderweise regnet es, als ich mit dem Herbergsvater auf der windenumrankten Terrasse einen Kaffee trinke. 

Hintern Gartenzaun und blühenden Gebüsch kann ich eine Windmühle sehen, naja, hinter der Mühle wird der Himmel schon wieder heller. Wollte bloß damit sagen, dass der Schlosspark nur einen Steinwurf weit fort ist. Später genieße ich ein wenig Postkartenpotsdam und merke, dass das Leben auch schöne Seiten hat. Im holländischen Viertel gibt es den Fliegenden Holländer und ich verspeise eine mächtige Portion Matjes mit Pellkartoffeln. Sanssouci ist vor allem der Park in dem ich als Kind letztmalig weilte und präge mir die Öffnungszeiten am Eingang ein. Geöffnet bis zur Dämmerung steht da und schon werden Kindheitserinnerungen wiederentdeckt. Dabei vertue ich mich in der Zeit und es wird noch viel schneller dunkel. Dann stehe ich vor einem verschlossenen Tor, auch das Zweite ist zu. Keine Menschenseele ist zu sehen und leichte Panik zieht auf. Aber Ende gut alles gut.   

Kommentar schreiben

Kommentare: 0