Ein Sommertag im April, perfekt zum Schafswolken zählen. Ich komme auf keine drei.
Aber erst wird das Frühstücksbüffet mit Hingabe auf Tauglichkeit überprüft. Ich finde alles was ich brauche. Mit Fensterplatz und angenehmer Aussicht über das schläfrige Bad Sulza. Spätestens beim zweitem Brötchen fange ich mich an zu freuen, wie ich mich immer freue, wenn es gleich losgeht. Und wie es losgeht, landschaftliche Glanzpunkte mit Thüringer Weintor, Flusshochzeit, die Burgen im Saaleck, das verschlafene Bad Kösen, Kormoran, Weinberge, Weinfässer und vieles mehr. Für einen Besuch der Stiftsfiguren im Naumburger Dom ist zehn Uhr am Sonntagmorgen eine denkbar ungünstige Zeit. Andacht ja, Besichtigung nein. Im Domgarten aber, machen die Gymnasiasten Kaffee und Kuchenbasar und proben ein amüsantes Theater. Ich glaube Romeo und Julia a la Sommersprossen zu erkennen.
Kurz vor Weißenfels treffe ich auf einen vollgeladenen Bollerwagen, über und über mit der Jakobsmuschel verziert. Ich komme mit dem portugiesisch – koreanischen Pärchen ins Gespräch. Obwohl mein Englisch nicht das Beste ist, begreife ich den unglaublichen Weg der Beiden. Von Santiago über Rom nach Jerusalem, durch den Kaukasus, durch Russland ins Baltikum und über Polen bis an die Saale und wieder nach Santiago. Was für Lücken im Lebenslauf?
Als ich einst mit zwölf jungen Jahren nach Frauenwald eingewandert wurde, hatte ich noch keine Ahnung. Da wusste ich nicht warum die Frauenwälder die Hasen sind. Auch jetzt, fünfundvierzig Jahre später, tue ich mich noch mit der Integration schwer und würde mich keinesfalls als Hase charakterisieren. Nach so vielen Jahren gelingt es mir immerhin, mit den Ureinwohnern ohne Dolmetscher zu kommunizieren. Da bleibe ich wohl ewig Thamsbrücker Nikoläuser, wenngleich das gewissermaßen auch nicht unwiderlegbar ist. Der normale Kuddelmuddel des Lebens halt. An die Frawäller Hosn (Frauenwälder Hasen) darf ich aber in Lützen denken. Bevor die Kopfschmerzen meiner Leser zunehmen, möchte ich meinen Zeitsprung in den Dreißigjährigen Krieg kurzhalten und mich auf das Wesentliche beschränken: 1632 große Schlacht, ein Schwedenkönig stirbt, ein Tilly flüchtet über den Thüringer Wald in den Süden und die Frauenwälder verstecken sich wie die Hasen im Wald. Das Denkmal zur Schlacht hat ein berühmter Schinkel ersonnen und die Schinkelkirche in Frauenwald auch. Das ist aber sicher reiner Zufall. Dem weiteren Weg fällt es auch schwer, immer das zu tun, was ich gerade für richtig halte. Gleich hinterm Schinkeldenkmal gelange ich auf einen pensionierten Bahndamm, der nun ein Radweg ist und mich die nächsten Kilometer zügig weiterbefördert. Gerade als ich denke, ich wäre mit genügend Radweg ausgestattet, ist auch schon Schluss damit. Abrupt und ohne Vorwarnung in einer Plattenbausiedlung und an einer vielbefahrenen Straße. Neben mir ein weiterer Radler. Simple Fragen: „Wo geht es denn weiter?“, ebenso simple Antworten: „Wo willste denn hin?“ Ich: „Nach Leipzig?“, Er: „Das ist Leipzig!“ und schon verschwindet er in der Grünphase, inmitten der Arbeiterwohnregale. Die Menschheit und ihr neunmalkluges Getue, denke ich mir und krame das Handy aus dem Rucksack. Die installierte Fahrradfahr-App befehligt mich sogleich in die nächste Metaebene, in verrückter Weise, in die finalen Kilometer des Leipzig-Marathons. Zwar muss ich das Tempo drosseln, dafür jubeln mir tausende begeisterte Menschen zu, Sambarhythmen erklingen, Blaskapellen spielen auf. Das entschädigt. Am letzten Sonntag im April hat das ansässige Sonnensystem ganz schön die Zentralheizung aufgedreht und bin froh, dass ich bald die Jugendherberge finde und duschen kann.
Da uns das Wetter so gut gefällt, holt mich mein alter LindnerKochKollege Erik zum Freisitz mit Bier und Grillgut in die Heimatscholle ab. Ich nenne das mal Fachseminar und das Thema könnte lauten: „Köche sollten öfters am Sonntag in der Sonne sitzen!“ Ein paar Biere später! Ein Elektrotaxi bringt mich für einen Apfel und ein Ei zurück zur Herberge. Beim Anblick meines Bettes höre ich die Schwerkraft leise kichern.
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