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20. ... Gondrecourt-le-Chateau - Colombey-les-Deux-Eglises - Clairvaux

Den üblichen Regen am Morgen nehme ich ohne große Emotionen entgegen. 

Dabei legt Petrus heute unerhörten Sinn für Feuchtigkeit an den Tag und lässt es aus Gießkannen schütten. Für mich braucht es dann aber auch eine Ewigkeit bis ich in die Bahnen komme.  Gedanken, an einen Tag Ruhepause, vergeude ich nicht wirklich.  

 

Genau wie in Toul, ist der Gastraum zum Morgentratsch gut bevölkert und das Frühstück stilmäßig Französisch. Ihr wisst schon, Baguette, Croissant, Butter, Marmelade, O-Saft und Kaffee und ich werde freundlich gegrüßt. Eine Frau sogar ganz stolz mit „Guten Morgen!“. Wenn aber die Bewohner von Gondrecourt-le-Château mich später beeindrucken wollten, dann haben sie es geschafft. Das Kribbeln, zieht gerade beim Schreiben, die Arme hoch und die Härchen richten sich auf. Gänsehaut lügt nicht. Wenigstens zehn Menschen gesellen sich zu meinem Aufbruch in den Landregen. Bon Voyage, Bon Courage, Schulterklopfen, ein Küsschen auf die Wange und eine Blume ans Rad. Ich kann gar nicht anders und halte (außer Sichtweite) an der nächsten Bushaltestelle und suche mir die passenden MP3’s. https://www.youtube.com/watch?v=sY2I8TlG4Ug

 

Mit etwas Pipi in den Augen und meiner Lieblingsmusik in den Ohren fahre ich durch die nächsten verregneten Kilometer und genieße ... 

 

Weiße Kühe geben Milch und braune Kühe geben Kakao. Vorurteile sind die Wickelkinder der Oberflächlichkeit und in meinen Hirnkasten springen alle Episoden mit Franzosen rum. Zu DDR-Zeiten kannte ich Franzosen eigentlich nur aus den Werkzeugkasten. Zur Wende gönnte sich mein Heimatort eine französische Partnergemeinde (Villebon-sur-Yvette) und im Hotel waren das immer lustige Gäste. Dann hatte ich in Griechenland einen Autounfall mit einem Franzosen und er wollte (klischeehaft) weder Englisch oder Deutsch verstehen. Bei der Polizei stellte sich dann doch raus, dass er jedes Wort verstanden hatte. In Kanada hatte ich einen französischen Küchenchef und bei den paar Tagen mit meiner Tochter in Paris hatte ich nur gute Erlebnisse. Wenn ich je Vorurteile hatte, die sind endgültig begraben.  

 

Nein! Man denkt immer an etwas, auch wenn man glaubt, an nichts zu denken. Die Pilgerin kurz vor Toul sagte zu mir: „Es ist schön, auch mal an nichts zu denken.“ Und wie ich gerade das Hin- und Wieder abwäge, schaltet mein Gehirn ab. Ich denke an nichts, bis ich die beiden Pilger treffe, die ich gestern vor dem Büro der Atomkraftgegner sah.  Das junge Pärchen aus Karlsruhe füllt mit Pilgern die Semesterferien aus und hat die Nacht unter einer Plane im Freien verbracht. Alle Achtung! Da bin ich jenseits der Fünfzig doch bequemer geworden. In meiner Sturm- und Drangzeit (dreimal nach Bulgarien getrampt) habe ich auch an den unmöglichsten Stellen die Nächte verbracht. Ich werde halt alt und wenn ich egoistische Gedankengänge hege, war es doch gestern ein viel schöneres Tagesende, als im Regen ... Naja, wenigstens in meiner Vorstellung. Wenn es passt, werde ich auch mal im Freien schlafen. Bei solchem Wetter sicher nicht. Wir erwünschen uns Buen Camino und endlich Sonnenschein.  

 

Das mit dem Sonnenschein klappt zwar noch nicht ganz, aber der Regen hört tatsächlich auf. Ich fahre nun entlang der übervollen Marne und dem Marne-Seine-Kanal. Einmal fließt der Kanal sogar via Brücke über die Marne hinweg. Ein Hausboot unter deutscher Flagge ist unterwegs und der Schiffsführer winkt mir freundlich zu. Dann geht es steil die nächste Wasserscheide an und die Grenze zu Burgund ist erreicht. Hin und wieder ist zwischen den tieffliegenden Wolken das Lothringer Kreuz zu sehen. Hier treffe ich den nächsten Pilger. Der gute Mann ist am 1. Mai in Wuppertal gestartet und schwelgt im Weg. Vielleicht sollte ich das auch noch einmal so machen. Zu Fuß und an einem Stück. Er erzählt mir noch, dass sein Poncho und die Schuhe so sehr gelitten haben, dass er neue bestellt hat und hofft diese in Colombey-les-Deux-Églises auf der Post vorzufinden.

 

Schon seltsam, da bin ich über tausend Kilometer unterwegs und treffe drei Pilger und nun treffe ich drei an einem Tag. Langsam wird es voll auf dem Weg.

      

Colombey-les-Deux-Églises ist wieder ein sehr gewichtiger Ort für die Geschichtsbücher, schließlich wurde hier Charles de Gaulle geboren.  Das dazugehörige Memorial unterhalb des Lothringer Kreuzes sollte unbedingt besucht werden. http://de.memorial-charlesdegaulle.fr/    

Aber auch für die Notre-Dame des Otages möchte ich einige Gedanken spenden. August 1944. Nach ein paar Schüssen der Résistance auf die Kommandantur, lässt die SS die zirka 40 Männer des Ortes zusammentreiben und deportieren. Während ihrer Gefangenschaft leisteten die Gefangenen das Versprechen, der Jungfrau Maria eine Statue zu stiften, wenn sie überleben sollten.

 

Das ich nun in der Champagne bin, bekundet die erste Kellerei am Ortseingang.

 

Im nächsten Tal erwartet mich die Aube, wieder ein Fluss der verdammt viel Wasser führt. Mein Navy führt mich erst mal am Hotel in Clairvaux vorbei. Wahrscheinlich kann es auch gar nicht glauben das wir hier richtig sind. Das Hotel de l'Abbaye sieht einfach zu teuer aus. Laut Reiseführer soll die Übernachtung 50 € kosten und in dem Telefonat am Morgen hatte ich das auch so verstanden. Mit Hydromassagebad? Da bleibe ich skeptisch. Egal!

 

Vor der mächtigen Abtei kreuzen sich zwei Pilgerwege, die Via Francigena (Canterbury – Rom) und der Jakobsweg (Trier – Santiago) und eine nette Schwester vom Zisterzienserorden haut mir einen wuchtigen Stempel in das Pilgerbuch. Sie präsentiert mir auch die nette Pilgerherberge im Kloster. Jetzt ist es doch schade, das am Morgen hier keiner hörte. Von der riesigen Klosteranlage ist nur ein kleiner Gebäudeteil zu besichtigen, der Rest ist Gefängnis. Dann besuche ich den Hügel mit der gewaltigen Statue des heiligen Bernhard von Clairvaux und kann die riesige Anlage überblicken. In der Bar Saint Bernard lasse ich den Abend ausklingen und werde wieder von jedem Neuankömmling per Handschlag begrüßt. Bonsoir! Im Hotel erlaube ich mir ein Sprudelbad und gewahre im Fernsehen streikende Eisenbahner!   

 


Fazit: Hab gar keine braunen Kühe gesehen. 


Die Tage 1 - 19 findet ihr hier: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/


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Kommentare: 4
  • #1

    AngelikaWa (Donnerstag, 02 März 2017 17:50)

    Warst wieder fleißig. Heute Abend lese ich in Ruhe. Bilder sind wieder einsame Spitze.

  • #2

    i. (Donnerstag, 02 März 2017 19:58)

    und wo kommt der kaffee her?

  • #3

    Ulli Salzmann (Donnerstag, 02 März 2017 20:32)

    Gute Frage liebes i.

  • #4

    Ulli Salzmann (Donnerstag, 02 März 2017 20:37)

    ... schwarze Kühe?