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18. ... von Nancy nach Toul

In meiner Welt besteht Glück aus vielen kleinen Dingen. 

Denke ich. Augenblicklich weiß ich gar nicht worüber ich mehr beglückt sein darf. Um das wirklich zu erfassen muss ich wohl jede Menge Wörter auf ihre Tauglichkeit abklopfen. Die vielen kleinen Dinge fangen mit dem ersten Augenaufschlag an. „Juhu, es regnet!“ Die Aussicht zu einer wiederkehrenden Regenfahrt bringt die Brauchbarkeit meiner Regensachen ins Visier. Es macht einen schon freudestrahlend, dass ich mit der Nalinihose (mit 15 Prozent Neopren), dazu Überschuhe und Regenjacke, locker jeden Wetter trotzen kann. Doch erstmal gibt es Frühstück, serviert von der verlockenden Dame von Empfang. Das Dekolletee ist ... oh Mann, kunstvolle Gedanken sind stets besser als gar keine geistige Arbeit. Sie hält mir nachher alle Türen auf und winkt zum Abschied. Warum sollte ich da undankbar sein?

 

Der Bahnhof von Nancy, war im letzte Jahr Endpunkt meiner Reise nach Frankreich und im diesem Jahr ein Tüttelchen im Unterwegs. Ab jetzt gibt es Neuland. Nancy liegt zwar etwas ab vom Jakobsweg, aber der kleine Umschweif vergütet mehr als reichlich.

Das erste Muschelzeichen finde ich nach knapp fünfzehn Kilometern in Villey-St-Etienne und prompt treffe ich auf eine Pilgerin. Seit meinem Anfang im Thüringer Wald, der/die Dritte. Die unterm Cape versteckte Frau verrät mir im erkennbar sächsischen Akzent, dass sie aus Dresden stammt und im vierten Jahr ihrer Pilgerschaft ist. Umgedreht bin auch ich ihr dritter Pilger nach fast 1200 km. Sie ist von Görlitz nach Eisenach, dann von Eisenach nach Köln, von Köln über Aachen nach Trier und nun von Trier nach Toul unterwegs. Ihr diesjähriger Camino endet heute und sie hat Sorge wegen dem Streik der Lokführer, ob sie der Zug heute noch zurück zum Auto bringt. Das Hochwasser und der viele Regen der letzten Tage haben ihr zu Schaffen gemacht. Sie ist des Öfteren barfuß durch knietiefes Wasser gewatet. Sie sagt, das wäre gut für den Kreislauf. Buen Camino!

Meine Oma ist 98 Jahre alt geworden und hat jahrzehntelang  jeden Morgen ein Gläschen Sekt auf den guten alten Kreislauf getrunken. Da hat wohl jeder sein vornehmliches Mittelchen.   

 

Der nächste Glücksmoment beichtet sich auch nicht auf den ersten Blick.  Die beeindruckende Bischofskirche von Toul ist schon von weitem zu sehen und als es über die Moselbrücke zum Stadttor geht, besitze ich vorne einen Platten. Da bei mir immer Flicken vor Schlauchwechseln geht, erfasse ich schnell, dass mein Flickzeug überlagert ist. Aus der Klebertube kommt nur noch ein staubiges Lüftchen und der Ersatzschlauch muss drauf. Eine gewichtige Absicht wird sein, schnellstens einen Radladen zu finden. Welch Glück! Keine dreihundert Meter später werde ich fündig.  Im Mutterland des Radsportes sind auch die Läden riesig und menschenleer. Es dauert eine Weile bis ich den Besitzer in der Werkstatt hinter dem Laden finde. MtB-Schläuche mit Autoventil sind Mangelware, in Frankreich fährt man schließlich französische Ventile! Die Verständigung zwischen dem Franzosen und dem Deutschen mit nicht existenten Sprachkenntnissen ist durchaus brüderlich. Er telefoniert und verspricht mir für 15 Uhr zwei passende Schläuche und ich könnte dann seine Werkstatt benutzen um das Rad vom Schlamm zu befreien. Wo wir gerade bei den kleinen Momenten des Glücks sind, am Morgen hatte ich schon mal mit einer Übernachtung in Toul geliebäugelt und in der Booking-App gestöbert. Das Hotel La-Central sollte dort 55 € kosten, die entzückenden Mädels im Touristenbüro vermitteln es mir für 45 €. So viel Glück, dabei ist es noch nicht einmal richtig Mittag.  http://www.tourisme-meurtheetmoselle.fr/fr/fugue,hotel/hotel-le-central,995000826  

  

Der gotische Kreuzgang der Kathedrale Saint-Etienne ist einer der Größten in Frankreich und bei starken Regen besonders sinnvoll. Nur dann kommen dutzende wasserspeienden Figuren richtig zur Geltung. Sauglück. In der Kathedrale nimmt mich eine Frau mit lustigem Deutsch unter ihre Fittiche und zeigt mit viel Entdeckenswertes. Ich erfahre neben vielen Details vom Papstgrab unter den Bishofsgräbern. In der Kapelle des Jean Forget spende ich eine Kerze und wünsche allen liebenswerten Menschen schöne Gedanken. Allen anderen aber auch! Im Kirchgarten tragen die Bäume dicke Strickpullover. 

 

In der Werkstatt befreie ich alle Ritzel und die Kette vom öligen Schmuddel und baue auch das Tretlager aus. Nach der Reinigung kommt mein französischer Helfer mit der Fettspritze und versorgt alle Lager. Die über einstündige Fachsimpelei mit Händen und Füßen kostet mir 10 €, inclusive zweier Schläuche der Marke Schwalbe, neuen Flickzeug und jeder Menge Spaß. Mehr will er einfach nicht nehmen, stattdessen möchte ich an sein Wohl denken, wenn ich in Santiago bin. Bon Courage wünscht er mir und ich werde mit Sicherheit an ihn denken. Versprochen.

 

Im Bistro unter meinem Zimmer betrachte ich Leute im Regen, schreibe ein paar Notizen und sogar Ansichtskarten. Schade das ich mein Buch in Luxemburg vergessen habe, so lese ich den Reiseführer durch.  Es schüttet freilich, aber es ist warm genug um draußen zu sitzen und das Bierchen schmeckt wieder. Ach so!! Andere Länder, andere Sitten, jeder Besucher der Bar, begrüßt mich mit freundlichen Händedruck. Das wäre in Deutschland fast eine Entgleisung. Stellt euch vor, ihr geht in ein Restaurant und gebt jeden Hanswurst die Hand. 

 

Das Zimmer im Hotel ist richtig schön, mit riesigen Fensterläden und noch größeren Bett. Im Fernsehen sehe ich Paris aus der Hubschrauberperspektive mit überschwemmten Straßen, ich sehe gebrochene Dämme, viel Blaulicht, ergriffene Berichterstatter und entsetzte Gesichter. Ich begreife, dass in Teilen des Landes möglicherweise der Notstand ausgerufen wurde. Vom Bahnstreik sehe ich nichts, aber draußen regnet es rastlos weiter. Gute Nacht! 


Fazit: Vermutlich habe ich gerade einen Regentag schöngeschrieben, aber ich stehe dazu!

Es war ein großartiger Tag! 


Alle GuteNachtGeschichten findet ihr hier: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/


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Kommentare: 2
  • #1

    AngelikaEi (Samstag, 25 Februar 2017 20:17)

    Eine wunderschöne Kirche ist das. Trotz Regen ein Glückstag für dich.�

  • #2

    Ulli Salzmann (Sonntag, 26 Februar 2017 12:07)

    Dankeschön