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11. ... zwischen Saar und Mosel

„Mir ist es eingefallen, während ich Fahrrad fuhr.“ Schrieb Albert Einstein über die Relativitätstheorie.  

Heute bin ich weitestgehend mit dem blauen Himmel und meinen Gedanken alleine. Da darf ich sicher gespannt sein, welchen Nobelpreis das Leben für mich bereithält. Ach ja, alleine stimmt auch nicht ganz. Immer wieder treffe ich auf Wolfgang. Wolfgang ist Professor mit Lehrstuhl für Religion an der Uni und in der Ethikkommission der Bundesregierung und verhandelt an einem Freihandelsabkommen. Ich bin schon lange genug als menschliche Kreatur auf dieser Welt unterwegs, dass ich mich kaum noch über einen Artgenossen wundern kann. Einige schaffen es doch immer wieder. Wolfgang gehört dazu und Wolfgang ist Turbopilger. Davon später mehr.      

 

Übrigens, ist heute mal wieder der heißeste Tag des Jahres. Davon weiß ich aber noch nichts. Erstmal genieße ich das wirklich gute Frühstück im Kolpinghaus und ziehe dabei den Outdoor zu Rate.  Von Vacha bis Trier hatte ich keinen Reiseführer und bin einfach der Nase nach. Das hat auch was! Aber nun lese ich von der Pilgerherberge in Merzkirchen und bevor ich das zweite Frühstücksei köpfe, rufe ich Mary an. Ich wollte gerade vorsichtig anfragen, da ist schon zu hören. „Pilger? Dann komm einfach her!“ Na dann! Ich markiere mir noch ein paar Tipps! 

 

Bis Konz geht es fast eben immer an der Mosel entlang und bald ist nicht nur die Stirn schweißnass.  Genau an der Mündung der Saar, sehe ich die zweite Jakobsmuschel, die an einem Rucksack baumelt. Nur ist diesmal das leuchtend weiße Ding fast größer als der Rucksack. Wolfgang trägt ein rotes Pumashirt und in der linken Hand einen Stoffbeutel, der mich stark an den Sportunterricht in der Schule erinnert und in der rechten eine große Flasche Mineralwasser. Er ist gerade mit dem Zug aus Köln angereist und will zwei Tage lang pilgern. Buen Camino!

Dick angestrichen im Outdoor ist die Dorfbäckerei von Tawern mit ihren leckeren Kuchen. Das teste ich natürlich und ich kann jetzt die Richtigkeit der Angaben bestätigen. Während ich gemütlich von dem Mandarinen-Schmand koste, stürmt Wolfgang den Blick stur geradeaus in nicht mal in 20 Metern vorbei. Klar überhole ich später! Dann zieht es mich zur der Kirche, die mit blühenden Lavendel umgeben, einen herrlichen Anblick liefert. Mein Lieblingsschmetterling, das süße Taubenschwänzchen lädt zur Fotosafari ein. 

 

In einiger Entfernung huscht ein rotes T-Shirt vorbei. Klar überhole ich wieder! Jetzt wird es römisch. Zwischen Tawern und Mannebach gibt es einen Tempel mit einer Merkurstatue zu bestaunen. Ich muss schon sagen, Merkur hat wirklich interessante Proportionen. Gerade werde ich von Wolfgang überholt. Im Mausbachtal bin ich wieder dran. Im Biergarten vom Mannebacher Landhotel lasse ich mich zur Jause und leckeren Wurstsalat nieder. Dann geht es brutal in der Mittagshitze einen schattenlosen steilen Berg zum Dörfchen Fisch hoch. Ein Anwohner kommt gerade von seiner Wocheneinkaufsfahrt und schenkt mir eine große Flasche Mineralwasser. Er erzählt mir, das gerade schon einen Pilger sah, der dem Weg folgte. Dann! Stab, Muschel, Hut, die Rehlinger Kirche ist ein Labsal für die Augen. Der Stempel in der Jakobuskirche ist urig und das Quellhaus unterhalb des Gotteshauses ist mein Highlight des Tages. Ich dusche im kühlen Nass und bin begeistert. Alle Flaschen werden mit Quellwasser gefüllt. Auf einer Bank lasse ich den Saargau auf mich wirken und kann über den geschmolzenen Käse auf dem Brötchen nur schmunzeln. Ein paar Kilometer später treffe ich Wolfgang. Er ist ziemlich fertig und ich helfe mit Wasser aus. Die Quelle unter der Rehlinger Kirche muss er wohl übersehen haben.

 

Wolfgangs Namensvetter hat in der Nähe meines Heimatortes als Bergbauingenieur Großes geleistet und hat eines meiner Lieblingsgedichte über den Ilmenauer Kickelhahn gedichtet. „Über allen Gipfeln Ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch, die Vöglein schweigen im Walde. Warte nur! Balde ruhest du auch.“ Goethe wird auch folgendes Zitat zugeordnet: „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.“ Ich verehre Goethe. Aber! Heute möchte ich mit dem Schriftsteller Louis J. Halle gegenhalten, der sagte: „Radfahren kommt dem Flug der Vögel am nächsten.“  (Ich lass das auch keinen Segelflieger hören.)

Weiter geht es auf der Römerstraße durch Kornfelder zum Gut Maklich. Die hübsche Verkäuferin im Hofladen stammt aus meiner Thüringer Heimat. Wer in Thüringen jemals eine GST-Ausbildung (Gesellschaft für Sport und Technik) hatte, der kennt auch Scheibe-Alsbach. Klein ist die Welt, und die Kirschen schmecken herrlich. Es gibt eine lustige Unterhaltung. Endlich kommt Merzkirchen in Sicht. Auf dem Friedhof ist gerade eine Beerdigung zu Ende und ca. 100 Trauergäste ziehen zur Trauerfeier in die Herberge. Und, ich sehe Wolfgang in der Toreinfahrt sitzen. Mary, gefordert vom Trauertrubel, drückt mir zur Begrüßung vier Flaschen Bier (für Beide) in die Hand und empfiehlt den gemütlichen Garten zur Ruhe. Ich schnappe mir den, nun auch fußkranken, Theologieprofessor (ein Häufchen Elend) und wir verschwinden von der Bildfläche. Ich habe gerade ein neues Wort erfunden: Pilgerholic! 

 

Wolfgang ist ein interessanter Mensch und erst seit ein paar Tagen aus den USA zurück und versucht mit seiner spontanen Pilgerreise klare Gedanken zu fassen. Ich übe mich, über das zuvor Geschriebene, eine halbe Minute lang in Demut!

 

 

Phosphate, Erbgut, Geburtenkontrolle, Gentechnologie, Schiedsgerichte, Biomasse, Investitionsschutzkapital, Umweltstandard, Verhütung, Jakobswege und der Papst. Diese elf Worte geben in etwa die Themen der abendlichen Unterhaltung wieder. Dazu versorgt uns Mary mit den Überbleibseln vom Büfett der Trauerfeier. Lustig ist die flüssige Butter. Nach Abendessen und Wäschewaschen trinken wir jeder noch ein Fläschchen. Ich ein Fläschchen Bier und Wolfgang ein Fläschchen Moselwein. Danach bin ich vielleicht ein bisschen Insider, aber garantiert todmüde. J Ich schleiche die Treppen hoch, suche mir das erste Bett und lasse mich glücklich darauf nieder. 

 

Fazit: Man kann über fast alles lachen!


Alle Tage findet ihr hier: https://www.ulliunterwegs.de/jakobsweg/


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Kommentare: 1
  • #1

    Gustav Sommer (Sonntag, 05 Februar 2017 08:43)

    Eine schöner Bericht. Erinnert mich an den Juni 2015 als ich 40 Tage von zu Hause bis nach Orléans mit dem Fahrrad auf den Spuren der Jakobspilger unterwegs war und auch hier an der Mosel und der Mündung der Saar entlang kam:
    http://sommer-huenxe.de/wordpress1/reisen/realitaet-jacobsweg-mit-dem-fahrrad/huenxe-orleans/